„Nicht schon wieder Lampedusa“wird sich vor einem Monat so mancher gedacht haben, als die Medien in Europa tagelang über die Flüchtlinge berichteten, die Anfang Oktober vor der Insel gekentert waren. Zuvor tauchten solche Ereignisse nur in Randnotizen auf, und die Menschen und deren Träume, die starben, verwandelten sich in nackte, nichtssagende Zahlen.
Am Montag danach saß ich bei der Redaktionskonferenz einer großen deutschen Zeitung. Blattkritik: Da wird gelobt, was gut war, getadelt, wenn es schlecht war – und bemängelt was fehlt. Die Zeitung hatte kaum vom Drama berichtet: "Eine Meldung kam zwar nachmittags rein, aber da hieß es, nur 30 Menschen seien gestorben. Das ist schlimm, aber das wäre eben nur nochmal eine Zahl und eine Meldung gewesen“, erklärt sich die verantwortliche Redakteurin vor ihren Kollegen.
Die EU trägt Mitschuld an der Katastrophe
War es also die große Zahl der Menschen, die ein solches Echo hervorrief? Oder war an dem Wochenende sonst nicht viel los? Niemand weiß es. Endlich aber wurde so lange darüber berichtet, dass sie die Artikel europaweit Aufmerksamkeit erregten: Endlich stand überall, dass die Menschen aus wirtschaftlich aussichtslosen Verhältnissen fliehen, dass das Mittelmeer nur der letzte Abschnitt einer solchen Flucht ist, das wenige erreichen – und dass die EU auch ihre Schuld daran trägt.
Die EU-Grenzen werden stark überwacht, aber wenn Boote kentern wird oftmals nur zögerlich geholfen. Auch der Landweg ist wenig attraktiv: Wer ihn nimmt, landet zuerst in Bulgarien oder Griechenland. Länder, in denen die Menschen in katastrophalen Bedingungen untergebracht sind.
Europa schottet sich ab
Ein Asylantrag darf aber nur dort gestellt werden, wo als erstes „europäischer“ Boden berührt wird, das besagt die Dublin II Verordnung. Selbst in den Mittelmeerstaaten wird über EU-Abkommen die Flucht erschwert. Die Länder sind dazu angehalten Flüchtlinge aufzuhalten, damit sie es mit ihren Booten nicht bis aufs Meer schaffen. Seit wir in der EU das „uns“ geschaffen haben sind die Grenzen für die „anderen“ undurchdringlicher geworden.
Flüchtlingsdebatte wenig erfolgreich
Inzwischen ist die Berichterstattung über die Flüchtlinge verebbt (schließlich lag in Deutschland eine Bundestagswahl dazwischen!), leider ohne dabei weite Kreise zu ziehen. Dabei kann die Union, die Menschenrechte und Frieden schätzt und etablieren will, sich nicht abwenden, wenn Menschen wie in Syrien oder anderen Ländern vor Gewalt und Bevormundung fliehen. Wieso können wir die Grenze nicht einfach öffnen, oder den Eintritt leichter gestalten? Wer kommt, und Arbeit findet, wer sich hier einbringt, trägt doch zu dem Fortbestand unserer Gesellschaft bei. Wer kommt, und nicht findet, wonach er suchte, oder sich selbst in unserer Gesellschaft nicht wiederfindet, wird der nicht bald wieder zurückgehen? Wenn es nicht so schwer und kostspielig wäre herzukommen, würde mehr Austausch stattfinden. Dann entstünden auch keine Zerrbilder von einem paradiesischen Europa.
Aber so einfach ist das Bild zum Glück nicht: Die EU arbeitet mit den Mittelmeerländern stark zusammen, um „Frieden, Stabilität und Wohlstand“ zu schaffen – so wurde es damals beim Barcelonaprozess festgehalten. Er war Startpunkt, und ist bis heute Rahmen, für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der EU und den Mittelmeerländern. Millionen von Euros wurden seitdem in unterschiedliche Projekte, in die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft investiert. Es geht unter anderem darum, die Situation im Land so zu verbessern, damit weniger Menschen aus den Staaten einen Grund haben zu fliehen. Ein nobles Ziel – schließlich kann kein Land ohne den Großteil seiner Jugend auskommen. Und vielleicht schaffen wir es dann endlich, die Grenze zu öffnen? Aber was passiert bis dahin mit den Booten auf dem Mittelmeer?
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