Zypern: Chronik eines Konflikts

Nikosia – Kapitel 2. Eine Insel, (k)eine Grenze.

, von  Marie Menke

Nikosia – Kapitel 2. Eine Insel, (k)eine Grenze.
An der Nordküste der Insel fährt ein Schiff mit der Flagge der Türkei und der Flagge der TRNZ (Türkische Republik Nordzypern) vorbei. Foto: Marie Menke

Im Rahmen der EU-Erweiterung 2004 trat die Republik Zypern der Europäischen Union bei. Seit 1974 übt ihre Regierung jedoch keine Kontrolle über die nördlichen Regionen der Mittelmeerinsel aus: 1983 wurde dort die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen, ein de-facto-Regime, das international ausschließlich von der Türkei anerkennt wird. treffpunkteuropa.de-Redakteurin Marie Menke schreibt in einer zweiteiligen Reihe über den Zypernkonflikt. Heute: aus der letzten geteilten Hauptstadt Europas.

Im östlichen Mittelmeer liegt Europas letzte geteilte Hauptstadt: Ledras Street, die größte Einkaufsstraße der Altstadt Nikosias, mündet in einen Checkpoint. Wer ihn überqueren möchte, zeigt den Grenzbeamt*innen auf der griechisch-zyprischen Seite seinen Reisepass oder Personalausweis vor. Knapp zehn Meter weiter liegt auf der türkisch-zyprischen Seite der zweite Checkpoint und eine weitere Ausweiskontrolle ist nötig.

Das Gebiet zwischen den Baracken, in denen die Grenzbeamt*innen sitzen, ist nur ein kleiner Teil der UN-Pufferzone auf Zypern: Südlich von ihr wird vor allem griechisch gesprochen und mit dem Euro gezahlt. Nördlich von ihr wird in erster Linie türkisch gesprochen und neben dem Euro auch die türkische Lira akzeptiert. Von der Gewalt, die sich seit den 1950ern auf der Insel breit machte, wissen die Zyprer*innen auf beiden Seiten der Pufferzone – entweder weil sie sie selbst erlebt haben oder weil ihnen von Kindesbeinen an von ihr erzählt wurde.

Im ersten Teil dieser Beitragsreihe geht es um die Ereignisse auf Zypern vor 1967 und um die an der Ostküste gelegene Geisterstadt Varoscha.

1967 – 1974: Griechische Militärjunta stürzt Makarios

1967 stürzte in Griechenland die Militärjunta, eine aus dem griechischen Militär entstandene Gruppierung, gewaltsam die damalige, demokratisch gewählte griechische Regierung. Daraufhin übte sie zunehmenden Druck auf den zyprischen Erzbischof und Präsidenten Makarios aus, die Angliederung Zyperns an Griechenland zu erreichen. Auf der Seite der Junta stand auch George Grivas. Er kontrollierte die zyprische Nationalgarde und ein auf Zypern stationiertes, griechisches Militärkontingent. 1971 begann er mit EOKA-B eine nationalistische, paramilitärische Organisation aufzubauen. Ihr Name versuchte den Vergleich zu EOKA herzustellen, welche in der britischen Kolonialzeit bereits für die Angliederung an Griechenland gekämpft hatte.

Am 15. Juli 1974 führten die griechische Junta, die griechische Armee auf Zypern und Teile der zyprischen Nationalgarde einen gewaltsamen Militärcoup durch, welcher Zypern mit Griechenland vereinigen sollte. Der Palast des Präsidenten brannte im Zuge dessen zu Grunde; den Brit*innen gelang es jedoch, Makarios aufzugreifen und nach London zu fliegen. Medien wurden zensiert und die Botschaft verbreitet, Makarios sei ums Leben gekommen. Da die Republik Zypern alle Morde, die 1974 geschahen, als Opfer der späteren Invasion durch die Türkei listet, ist unklar, wie viele Menschen im Zuge des Militärcoups ihr Leben verloren.

1974: Türkisches Militär greift ein

Fünf Stunden nachdem Makarios vor dem UN-Sicherheitsrat berichtete, dass Griechenland in Zypern eingefallen sei, traf das türkische Militär auf der Insel ein und überraschte die griechische Junta. Die Türkei berief sich dabei auf jene zur Unabhängigkeit Zyperns festgehaltene Klausel, die besagte, dass die drei Garantiemächte, also das Vereinigte Königreich, Griechenland und die Türkei, eingreifen dürften, sollte die damals etablierte Ordnung aus den Fugen geraten. Letzteres war nach dem Coup der Junta und ihrer Verbündeten sicherlich der Fall. Ob die Klausel jedoch derartig grausame Opfer erlaubte, wird bis heute diskutiert.

Am 23. Juli 1974 konnte ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten knapp 30 000 türkische Soldat*innen die im Norden der Insel liegende Hafenstadt Kyrenia, den Weg von dort nach Nikosia und die türkisch-zyprischen Teile der Hauptstadt eingenommen. Die Junta kollabierte, erste Politiker*innen kehrten aus dem Exil zurück und in Genf kam es zu Friedensverhandlungen, die die Beteiligten jedoch nicht zufrieden stellten. Am 14. August schaltete sich die türkische Armee zum zweiten Mal ein und besetzte knapp 40 Prozent der Insel. 180 000 griechische und 50 000 türkische Zyprer*innen wurden dabei zur Flucht gezwungen, unzählige bis heute vermisst.

Nach 1974: Zypern trägt Spuren

Der Zustand, der 1974 zustande kam, ist seither wie eingefroren: Makarios konnte zwar nach Zypern zurückkehren und die Verfassung wurde wieder akzeptiert. Zugleich blieben die türkischen Truppen und behielten die Kontrolle über die Gebiete im Norden der Insel. 1983 wurde dort die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen. Internationale Anerkennung erhielt sie jedoch einzig und allein von der Türkei. Seitdem kommen auch türkische Siedler*innen in die Gebiete im Norden der Insel und sorgen dafür, dass türkische Zyprer*innen dort inzwischen eine Minderheit darstellen.

In den Jahrzehnten seit 1974 ist es zu zahlreichen und teils auch blutigen Konfrontationen ebenso wie zu Plänen für eine Wiedervereinigung gekommen. Letztere scheiterten allesamt. Der berühmteste von ihnen ist der nach dem damaligen UN-Generalsekretär benannte Annan-Plan: In der Volksabstimmung, die über die Umsetzung dessen entscheiden sollte, stimmten 65% der türkischen Zyprer*innen für den Plan 74% der griechischen Zyprer*innen jedoch dagegen. Sie fanden, dass der Plan die türkisch-zyprische Seite disproportional bevorzuge. Für viele Zyprer*innen und internationale Beobachter*innen starb mit dem Annan-Plan ein großer Teil der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung.

Heute: Eine Linie, die keine Grenze sein darf

Seither ist die Stimmung auf einem Tiefpunkt angekommen. Weiterhin gibt es Variablen, die für Bewegung auf der Insel sorgen könnten, darunter ein potenzieller durch u.a. die USA forcierter Abzug der stationierten UN-Friedensmission sowie noch zu findende Gas- und Ölvorkommen rund um die Insel. Zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisationen versuchen währenddessen, die Bürger*innen auf beiden Seiten der UN-Pufferzone zusammenzubringen. Sogenannte vertrauensbildende Maßnahmen, darunter das Vereinheitlichen der Telefonnetze auf der gesamten Insel, sollen außerdem die Volksgruppenführer*innen zu mehr Verständigung zwingen. Bisher kann im Norden der Insel nur türkisches Netz empfangen werden. Das soll sich jetzt ändern, ist aber nur ein Beispiel für die Absurdität der Situation. Auch internationale Briefe, die im Norden Zyperns landen sollen, werden an eine Stadt im Süden der Türkei adressiert.

2003 wurde der erste Checkpoint auf der Insel eröffnet. Er erlaubt es, die UN-Pufferzone zu durchqueren und vom Süden der Insel in den Norden und andersherum zu gelangen. Einige, die Jahrzehnte zuvor geflohen waren und nur noch Kindheitserinnerungen mit dem Gebiet auf der anderen Seite verbinden, sahen daraufhin die Häuser wieder, in denen sie aufgewachsen waren. Andere weigerten sich, die UN-Pufferzone zu durchqueren. In vielen der Häuser wohnen inzwischen andere. 2008 wurde der Checkpoint Ledras Street in der Mitte der Hauptstadt Nikosias eröffnet. Die UN-Pufferzone beeinflusst gerade dort die Mobilität in der Hauptstadt: Ohne einen Grund lohnt es sich kaum, die Checkpoints zu passieren. Und einen solchen Grund haben die meisten Zyprer*inne noch viel zu selten.

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