Nordmazedoniens EU-Beitritt: eine Gratwanderung

, von  Tanja Schmidt

Nordmazedoniens EU-Beitritt: eine Gratwanderung
Um Nordmazedoniens Beitritt in der Zukunft umzusetzen, ist eine Einigung auf gesamteuropäischer Ebene im Konsens nötig. Unsplash / Dimitar Stevcev / Licence

Die geplanten Beitrittsgespräche zwischen der EU und Nordmazedonien sind aufgrund des Vetos aus Bulgarien gestoppt. Grund dafür sind nicht Verstöße gegen die Auflagen zur Reformpolitik auf dem Balkan, sondern ein nationalistischer Kurs aus Bulgarien. Der stockende Beitrittsprozess Nordmazedoniens verkörpert eine gefährliche Verschiebung der Einflussfaktoren, entgegen der europäischen Werte, hinzu einer Zunahme von rechten Stimmen. Ein Kommentar von Tanja Schmidt

Der Beitritt eines weiteren Staates zur Europäischen Union ist ein langes Verfahren, dass sich über Jahre und Jahrzehnte ziehen kann. Eine Bedingung dafür, dass es überhaupt zu Verhandlungen kommt, ist die Zustimmung der momentanen EU-Mitgliedstaaten. Ohne den Konsens aller, ist kein Beitritt und keine Verhandlung möglich. Nordmazedonien, ein kleiner Balkanstaat, steht mit den geplanten Verhandlungen kurz vor dem letzten Kapitel bevor ein EU-Beitrittsvertrag unterschrieben werden kann.



Die Herkunft historischer Persönlichkeiten spielt eine erhebliche Rolle bei den nationalen Identitäten der Balkanstaaten und war ausschlaggebend für ein Veto Bulgariens gegen den EU-Beitritt Nordmazedoniens. Foto: Von der Autorin mit Flourish erstellt.


Bulgariens Veto: Schuld ist ein Nationalheld

Am 17. November legte Bulgarien Veto ein und verhinderte so die geplante Aufnahme der Gespräche. Der Konflikt in der bulgarisch-mazedonischen Nachbarschaft hatte sich schon angebahnt. Trotz des 2017 zwischen beiden Staaten geschlossene Vertrag zur “guten Nachbarschaft”, überschattete ein Konflikt in der Historiker*innenkommission beider Länder eine reibungslose Zusammenarbeit. Die Historiker*innenkommission war Teil des Vertrages und dient zur Klärung historischer Unstimmigkeiten, die jetzt die Fronten verhärten ließ. In dem momentanen Konflikt gab es keine Einigung bei der Frage um die Herkunft des von beiden Staaten verehrten Nationalhelden Georgi Deltschew. Die bulgarische Delegation bestand auf die Darstellung des Revolutionärs von ausschließlich bulgarischer Herkunft, Nordmazedonien wollte sich nicht darauf einlassen. Georgi Deltschew wurde 1872 in Thessaloniki geboren und kämpfte für die Befreiung Makedoniens vom Osmanischen Reich. Die Region, für die er kämpfte, umfasste Teile des heutigen Griechenlands, Nordmazedoniens und Bulgariens. Die alleinige bulgarische Herkunft ist demnach fraglich. Die Herkunft historischer Persönlichkeiten spielt jedoch eine erhebliche Rolle bei den nationalen Identitäten der Balkanstaaten und war ausschlaggebend für ein Veto Bulgariens gegen den EU-Beitritt Nordmazedoniens.

Um das Veto wieder aufzuheben, stellte Bulgarien Forderungen an den mazedonischen Nachbarn. Mazedonisch solle nur als bulgarischer Dialekt dargestellt werden, auch wird verlangt, dass Nordmazedonien erklärt, keine Gebietsansprüche zu erheben, sowie dass es keine mazedonische Minderheit in Bulgarien gebe. Die Forderungen richten sich klar gegen die nordmazedonische Souveränität und Selbstbestimmung und stellen diese in Frage. Die harte Linie gegenüber der nordmazedonischen Identität, historisch wie auch kulturell, wird gesteuert durch die konservativ-rechte Regierung in Sofia. Genutzt wird die Haltung gegenüber Nordmazedonien für innenpolitische Machtkämpfe, um Nationalismus und Patriotismus zu stärken und um für eine Wiederwahl bei den Parlamentswahlen 2021 Stimmung zu machen. Die Regierung in Bulgarien, bestehend aus der konservativen GERB-Partei und der nationalistisch-rechtspopulistischen Partei der Vereinten Patrioten, ist auch umstritten durch aktuelle Korruptionsvorwürfe, sowie Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit und hat mit dem Veto gegen Nordmazedonien europaweit Aufsehen erregt.

Gegenwind aus Skopje

Der Beitritt zur Europäischen Union steht auf der Agenda Nordmazedoniens seit Jahren weit oben. Die große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet einen Beitritt und auch die Regierungskoalition der Sozialdemokrat*innen und Vertreter*innen der albanischen Minderheit unter Ministerpräsident Zoran Zaev verfolgt einen unionsfreundlichen Kurs. Um die ersten Schritte des Beitritts überhaupt zu ermöglichen, musste Nordmazedonien in der Vergangenheit den Streit mit dem südlichen Nachbarn Griechenland schlichten. Der Konflikt um den Namen “Mazedonien” war der Grund dafür, dass Griechenland den Beitritt Nordmazedoniens zur NATO und zur EU für Jahrzehnte blockierte.

Es ging um den Namen der nordgriechischen Provinz Makedonien und die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedoniens. Griechenland beanspruchte den Namen “Mazedonien” für sich. Der Konflikt konnte gelöst werden, durch das am 12. Juni 2018 in Kraft getretene Prespa-Abkommen. Das Abkommen wurde geschlossen zwischen den Ministerpräsidenten Griechenlands und der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedoniens und beinhaltet einen Kompromiss beider Konfliktparteien. So wurde aus der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedoniens Nordmazedonien. “Mazedonisch” und die Bezeichnung “Mazedonier*innen” blieben bestehen. Zu dem Abkommen gab es ein Referendum in Nordmazedonien, bei dem ein Großteil für die vorgeschlagene Namensänderung stimmte, jedoch war die Beteiligung der Gesamtbevölkerung zu gering, um das Referendum zu werten. Lediglich ein Drittel der 2,1 Millionen Nordmazedonier*innen beteiligte sich bei der Abstimmung. Das Abkommen wurde dennoch ratifiziert und Verfassungsänderungen folgten, um endlich den Weg nach Brüssel freizumachen.Der offizielle Streit wurde gelöst und Gegenstimmen aus Griechenland verstummten. So wurde Nordmazedonien im März 2020 Mitglied der NATO und der Beitrittsprozess zur EU-Mitgliedschaft kam voran. Die Reaktion auf das Veto Bulgariens im November war demnach alles andere als positiv. Die nordmazedonische Regierung reagierte und trat den drastischen Forderungen aus Sofia entgegen. Die Forderungen wurden als Angriff auf die Selbstbestimmung Nordmazedoniens verstanden und scharf kritisiert. Das Ziel der nordmazedonischen EU-Mitgliedschaft ist deswegen in Gefahr, trotz aller bisherigen Bemühungen.

Wie weit ist Nordmazedonien im Beitrittsprozess?

Um Mitglied der Europäischen Union zu werden, müssen formal erst die Kopenhagener Kriterien von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und einer florierenden Wirtschaft gegeben sein, um Beitrittsgespräche aufnehmen zu können. Nordmazedonien galt als vielversprechender Beitrittskandidat, schon 2009 sprach sich das Europäische Parlament für die Aufnahme der Gespräche aus. Grund dafür waren ein stabiles Wirtschaftswachstum und eine erfolgreiche Bekämpfung korrupter Strukturen in den vergangenen Jahren. Andere Staaten aus der Balkanregion bekamen weitere Vorschläge aus Brüssel, währenddessen die Reformpolitik aus Skopje weiter nach Plan lief.

Durch die Blockade Griechenlands kam die 2004 beantragte Mitgliedschaft Nordmazedoniens erst spät voran. Im Oktober 2019 kam es zu einer erneuten Schwierigkeit, als Frankreich im Europäischen Rat ein Non-Paper vorlegte, worin eine Reformation des Beitrittsprozesses gefordert wurde. Der französische Präsident Macron fürchtete zunehmend autokratische Strukturen innerhalb der Union und forderte unter anderem die Umkehrbarkeit der Beitrittsverhandlungen eines Kandidaten. Der Beitrittsprozess der sechs Balkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien, wurde durch das Veto Frankreichs vorerst gestoppt. Die Forderungen Frankreichs wurden ernst genommen und die Europäische Kommission legte im März 2020 einen Vorschlag zur Reformation des EU-Beitrittsprozesses vor. Die Kernpunkte dessen besagten, dass in Zukunft mehr auf wichtige Reformen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geachtet werden soll. Laut Kommissionsvorschlags soll es in Zukunft mehr politische Kontrolle, sowie Kooperationen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Beitrittskandidaten durch Gipfeltreffen, Gremien und die stärkere Einbindung von Minister*innen geben.

Ein EU-Gipfel mit allen Staats- und Regierungschefs auf dem Balkan im März 2020 bestätigte den Vorschlag und der Rat machte den Weg frei für Beitrittsverhandlungen mit den Balkanstaaten. Frankreichs Veto wurde zurückgenommen und die Südosterweiterung der Europäischen Union kam weiter voran. Die formalen Bedingungen erfüllt Nordmazedonien nun, aus der europäischen Perspektive können demnach vorbehaltlos die Verhandlungen aufgenommen werden.

Und nun?

Um Nordmazedoniens Beitritt in der Zukunft umzusetzen, ist eine Einigung auf gesamteuropäischer Ebene im Konsens nötig. Eine Reformation des EU-Beitrittsprozesses löst nicht alle aufkommenden Probleme, wie es sich im Fall Nordmazedoniens gezeigt hat. Das momentane Veto Bulgariens offenbart den Konflikt nationaler Interessen. Die nationale Identität der Länder spielt dabei eine große Rolle in einer Region, die geprägt ist von Nationalstaaten mit Minderheiten und vielseitigen Interessen. Die aktuellen Spannungen zwischen Bulgarien und Nordmazedonien zeigen, wie unsicher daher bilaterale Beziehungen auf dem Balkan sind und welche Folgen resultieren.

Verhandlungen, um die verhärteten Fronten aufzuweichen, werden benötigt. Ein Vertrag, wie das mit Griechenland geschlossene Prespa-Abkommen, könnte eine Möglichkeit sein, um auch eine gute Nachbarschaft mit Bulgarien zu garantieren. Dabei müssen wieder aufkommende Streitpunkte geregelt sein. Wie 2018 in dem Prespa-Abkommen, muss ein Kompromiss gefunden werden, wobei zum Einen die nordmazedonische Selbstbestimmung bestehen bleibt, zum Anderen aber Bulgariens Forderungen erhört werden müssen, um das Veto aufzuheben. Ob es möglich ist, mit der konservativ-rechten Regierung in Sofia mit der harten Linie gegen Nordmazedonien einen Konsens zu finden, ist fraglich. Grund zur Hoffnung gibt es dennoch, im Dezember fand ein gemeinsames Projekt des bulgarischen Außenministeriums und der mazedonischen Regierung statt, in dessen Rahmen ein neuer Informationskanal zum EU-Beitritt Nordmazedoniens geschaffen wurde.

Das Schicksal Nordmazedoniens im Beitrittsprozess ist auch eng gekoppelt mit dem von Albanien, da die Unterstützung der 25 prozentigen Minderheit der Albaner*innen benötigt wird, um weitere Verhandlungen tragen zu können. Daher ist es wichtig den Beitrittsprozess aller Kandidaten des Balkans voranzubringen und Lösungen zu finden, um mögliche Probleme auch in der Zukunft zu umgehen.

Eine Rückbesinnung auf die Grundpfeiler der europäischen Werte, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ist notwendig um nationalistischen Motiven auch in den eigenen Reihen klar entgegen zu treten. Es muss abgewogen werden, inwiefern nationale Interessen Einfluss nehmen auf den EU-Beitritt eines Landes, ohne dabei die Mitsprache zu verhindern oder die europäische Leitidee zu gefährden. Skopje musste für dieses Dilemma bisher viele Zugeständnisse machen und steht bildlich für das Problem des nationalistischen Aufschwungs, der die Europäische Union als Ganzes gefährdet.

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