"Lasst uns für den Sieg von Angela Merkel beten!” rief Viktor Orbán kürzlich am Ende einer Parteisitzung. Eigentlich sagt das alles über die gegenwärtige außenpolitische Lage des ungarischen Regierungschefs. Seit 2015 führt Orbán mit Angela Merkel ein andauerndes Scharmützel in der Flüchtlingsfrage. Sein Kabinettschef János Lázár erklärte im September 2016: „Nicht Merkel sollte bestimmen, mit wem wir zusammenleben“ - damit meinte er die Diskussion um die Flüchtlingsquote der EU, die auch jetzt noch als Staatsfeind Nr.1 der Regierung gilt. Nun betet aber Orbán für Merkels Verbleib im Amt, denn ihm ist bewusst, mit Martin Schulz bekäme er nicht nur einen harten Diskussionspartner, sondern auch einen erbitterten Feind. Was die nächsten Wahlen in Deutschland betrifft, hätte er auch sonst Grund genug zu beten, denn der Ausgang der letzten Wahlen in Europa war so gar nicht nach seinem Geschmack.
Anfang dieses Jahres verkündete Orbán: 2017 Jahr werde das Jahr der Rebellion. ”Es folgen Wahlen in Deutschland, Niederlanden, Frankreich. Damit werden gleich zwei Rebellionen kommen. Eine ist die der Ihrem Schicksal Überlassenen, der Ausgelieferten, die mit ihrem Votum nach dem Ausweg suchen. Die andere ist nationaler Art, sie begann 2016 und wird sich dieses Jahr richtig entfalten“
Nun, was geschah, seit Orbán diese Voraussage getroffen hat?
In den Niederlanden träumte Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei vergeblich vom Sieg. Überzeugend gewann der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte mit seiner Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) bei ungewöhnlich hoher Wahlbeteiligung. Laut Rutte, dessen Partei im EU-Parlament zu der mit Orbán auf Kriegsfuß stehenden Fraktion der Liberalen gehört, ist ihm damit gelungen, die Ausbreitung der üblen Formen von Populismus in Europa aufzuhalten, - trotz intensiver Desinformationskampagne russischer Geheimdienste – wie es sich inzwischen herausgestellt hatte.
In Großbritannien hoffte Theresa May mit einem neuen Referendum auf größere Unterstützung für einen Brexit gegen Einwanderung und Terrorismus. Dabei hat sie sich teilweise Slogans bedient, die die Menschenrechte missachten. Sie hat sich grandios verkalkuliert, denn das Resultat war, dass die bis dahin komfortable Mehrheit der Tories zu einer Minderheit zusammenschmolz. Fürs Regieren war May nunmehr auf einen wackeligen Koalitionspartner aus Nordirland angewiesen.
Vor den französischen Wahlen hat Europa den Atem angehalten. Lange sah es so aus, dass die Populisten gewinnen und Marine LePen Präsidentin von Frankreich wird. Ihre Absicht war, Frankreich nach einem Referendum aus der EU austreten zu lassen. Es kam anders: Emmanuel Macron hat mit einer entschiedener EU-freundlichen Kampagne haushoch gewonnen. Sein Erfolg hat gezeigt, dass Rhetorik und Polemik gegen die Eliten nicht unbedingt mit Populismus á la Trump und EU-Feindlichkeit einhergehen muss. Auch bei den französischen Wahlen versuchten die Russen sich mit aller Kraft einzumischen, doch ohne Erfolg.
Apropos Trump: Die Orbán-Regierung hat mit den USA zwei aktuelle Probleme: 1. Das neu verabschiedete ungarische Gesetz, wonach bestimmte Zivilorganisationen sich selbst mit „vom Ausland finanziell unterstützt“ stigmatisieren sollten.
2. Das umstrittene Hochschulgesetz „Lex CEU“, eine Rechtsvorschrift, mit deren Hilfe die von George Soros unterstützte, international renommierte amerikanisch/ungarische Central European University aus Ungarn hinauskomplimentiert werden soll.
Bei beiden scheint Orbán auf Granit zu beißen. Da die amerikanische CEU im Bundesstaat New York residiert, ist der Gesprächspartner nicht Washington, sondern der Bundesstaat New York. Das will aber die Orbán-Regierung nicht akzeptieren. Dreimal musste sie sich von verschiedenen amerikanischen Regierungsstellen anhören, dass die Kompetenzen in den USA so verteilt sind und die Verfassung der Vereinigten Staaten Ungarn zuliebe nicht umgeschrieben werden wird. Ansonsten ist Trump eher mit den Untersuchungen bezüglich der russischen Machenschaften bei seiner Wahl beschäftigt. Mazedonien
In Mazedonien hat Nicola Gruevski, ein Kampfgefährte Orbáns, schlussendlich verloren. Auch Gruevski vermutete Soros als Initiator des gegen ihn gerichteten politischen Kampfes. So wollte er von den offensichtlich gewordenen Korruptionsaffären ablenken. (Unter anderem hat er seine politischen Widersacher abhören lassen). An die Macht kam jedoch Zoran Zaev, der mit seiner Regierung alles unternimmt um in die EU und NATO aufgenommen zu werden. Er ist sogar gewillt, den von den Griechen beanstandeten Namen seines Landes in „Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“ zu ändern. Laut internationalen Beobachtern hatte Putin alles unternommen, um Mazedonien von dem Weg Richtung Westen abzubringen, was als Prinzip des Kremls gilt. Dafür setzt er in Europa alles Erdenkliche ein.
In Serbien wird die sich als lesbisch geoutet habende Politikerin Ana Brnabic Regierungschefin. Sie setzt sich für die Aufnahme in die EU ein.
In Albanien haben die Sozialisten gewonnen.
Wenigstens ist bei den Visegrád-Staaten alles in Ordnung – es sei denn, man wirft ein Auge darauf, was in der Tschechei und der Slowakei passiert. Die beiden bekennen sich bei vielen Fragen eher zum offiziellen Weg der EU. Neuerdings knüpfen sie engere Beziehungen zu Österreich. Richtig aufmüpfig sind somit nur Polen und Ungarn. Das Bündnis der V4-Staaten – sie wollten bedeutender Machtfaktor in der EU sein – zeigt Auflösungserscheinungen. Auch das Tandem Warschau-Budapest wird vom Unterschied im Verhältnis zu Russland gebremst, Polen schließt nämlich –im Gegensatz zu Ungarn - kategorisch jede Zusammenarbeit mit Russland aus.
Der Beweis des vielbeschworenen Slogans der ungarischen Regierungsmedien: „Allmählich geben alle Orbán recht“ lässt auf sich warten. Die von Budapest ständig forcierten Flüchtlingsfragen haben nämlich durch die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei an Bedeutung verloren. In den meisten EU-Mitgliedstaaten überwogen nunmehr andere Sorgen, wie zum Beispiel die Präsidentschaft von Trump in den USA und die durch den Brexit verursachten Probleme mit Großbritannien. Als wäre der Slogan 2017 in den meisten Wahlen: Geben wir Europa noch eine Chance! Die Lage kann sich rasant ändern, doch die Idee der Integration hat momentan die Oberhand. Das könnte die Verwirklichung von „Kerneuropa“ vorantreiben.
In der EU wurde bereits ins Gespräch gebracht, dass die Abrufung von EU Fördermittel nur mit Billigung des Europäischen Gerichtshofes möglich sein sollte. Gäbe es kein Geld aus Brüssel, wäre der Spielraum für Ungarn sehr beschränkt, denn es gäbe keine Investitionen. Auch die Verwirklichung eines Europa mit zwei Geschwindigkeiten –dabei würde Ungarn an die Peripherie gedrängt – wäre für Orbán eine blamable Niederlage.
Da sieht man, wie intensiv sich die Orbán-Regierung ins Zeug legen muss für ihre circa zwei Millionen Wähler, die sie benötigt. Einfaches Mobilisieren genügt nicht, Orbán muss sie fanatisieren. Das ganze Programm: Dämonisieren und vollständige Entmenschlichung des politischen Gegners, Aufblasen bereits vorhandener und zukünftiger Feindbilder. Davon hat man soeben eine Kostprobe erhalten, denn der von Orbán vertretene neue Populismus steht auf verlorenem Posten und zwar europaweit.
Und als letzte Bastion Russlands bleibt Ungarn innerhalb der EU allein. Die Medien der Regierung folgen russischen Mustern, übernehmen deren Techniken und Inhalte eins zu eins. Ungarn hängt mit tausend Fäden an Putins System. Indes betet Orbán leise für Merkel, die weltweit als Führerin der liberalen Weltordnung angesehen wird, und bei ihrem letzten Besuch in Budapest erklärte, sie könne mit Orbáns Illiberalismus nichts anfangen. Bei dieser großen Rebellion wird Orbán nicht auf den Schild gehoben, vielmehr benötigt er einen Schutzschild, damit ihn der Zorn der Anderen nicht mit voller Wut trifft.
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