Regierungsbildung in Polen

Polen nach der Wahl: Die PiS spielt auf Zeit

, von  Benedikt Putz

Polen nach der Wahl: Die PiS spielt auf Zeit
Präsident Andrzej Duda beim Staatsakt zum polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November 2023 Foto: Benedikt Putz

Polens Präsident Andrzej Duda erteilt Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS) erneut den Auftrag zur Regierungsbildung – und das trotz der fehlenden PiS-Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Das bei den Parlamentswahlen siegreiche Oppositionsbündnis um Donald Tusk zeigt sich derweil weiter geeint. Einfach wird die Regierungsbildung trotzdem nicht, denn die PiS spielt auf Zeit.

Als am 15. Oktober die ersten Prognosen über den Bildschirm flimmerten, war eines sofort klar: PiS hat verloren. Das Oppositionsbündnis aus Koalicja Obywatelska (KO), Trzecia Droga und Lewica erhielt bei der Wahl 54 Prozent der Stimmen und verfügt nun im Sejm über eine Mehrheit über 248 von 460 Sitzen. Auch im Senat hat das Oppositionsbündnis mit 66 von 100 Sitzen eine deutliche Mehrheit. Dennoch erhielt nun Premierminister Morawiecki den erneuten Auftrag zur Regierungsbildung von Präsident Duda.

Tusk fordert einen schnellen Auftrag zur Regierungsbildung

„Wir sind bereit, die Regierung zu bilden.“ – so lautet die klare Botschaft des Vorsitzenden der stärksten Oppositionspartei Donald Tusk. Bei einer Pressekonferenz mit den Vorsitzenden der Bündnispartner Trzecia Droga und Lewica am 24. Oktober zeigte sich Tusk entschlossen, die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung zeitnah aufzunehmen. Auch der Trzecia Droga-Co-Vorsitzende Szymon Hołownia, dessen Partei auch Teil des Bündnis um Tusk ist, drückte dies deutlich aus: „Wir appellieren hier alle an Präsident Duda, damit er nicht weiter Zeit vergeudet. Es gibt nichts, worauf man warten müsste.“ Die Einigkeit des Bündnisses geht so weit, dass nun am 10. November eine gemeinsame Koalitionsvereinbarung öffentlichkeitswirksam von allen Parteivorsitzenden unterzeichnet wurde. Das Zeichen ist klar: Die Regierungskoalition steht und wartet nur noch auf die Zustimmung von Präsident Duda.

PiS spielt auf Zeit

Während es den Oppositionsparteien nicht schnell genug mit der Regierungsbildung gehen kann, stellt sich die Situation für die derzeit regierende PiS ganz anders dar. Nach acht Jahren an der Macht verfügt man nun nicht nur in keiner der beiden Parlamentskammern mehr über eine Mehrheit, sondern verliert dadurch auch die Kontrolle über den polnischen Staatsapparat. Dabei war die zunehmende Einflussnahme auf Medien und Justiz in den letzten Jahren ein bedeutender Machtpfeiler der PiS-Regierung. Damit scheint es nun vorbei zu sein.

Vor diesem Hintergrund gibt sich die PiS jedoch kämpferisch. So zeigte sich Parteisprecher Rafał Bochenek trotz der Niederlage bei den Parlamentswahlen zuversichtlich, eine Regierung bilden zu können: „Von vielen Seiten erreichen uns Signale für eine Zusammenarbeit, für ein mögliches Bündnis. Es ist alles offen. Sehr oft ist in der Politik und im Leben das Wichtigste für die Augen unsichtbar.“ Bislang ist jedoch noch keines dieser Signale sichtbar geworden.

Was erhofft sich die PiS?

Die PiS setzt alles daran, um ihre Macht nicht zu verlieren. Besonders Staatspräsident Andrzej Duda, der aufgrund seiner PiS-Linientreue in Polen auch „długopis“ (Kugelschreiber) genannt wird, spielt dabei eine zentrale Rolle. Er zögerte lange, dem Oppositionsbündnis den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen, obwohl dieses eine klare Mehrheit im Sejm und im Senat hat. Stattdessen erhielt nun Premierminister Morawiecki den Auftrag zur Regierungsbildung. Die PiS hofft augenscheinlich darauf, dass sich in den Reihen der Oppositionsparteien Uneinigkeit über künftige Regierungsvorhaben breitmacht. Ganz aus der Luft gegriffen ist das jedenfalls nicht, denn das Oppositionslager besteht aus drei großen Bündnissen, die jeweils mehrere kleinere Einzelparteien umfassen. Die Bandbreite reicht von der Bauernpartei PSL bis hin zur Linkspartei Lewica. Aktuell gibt es aber keine Anzeichen, dass diese Einigkeit bröckelt.

Auf der anderen Seite hat das aktuelle Spiel auf Zeit noch einen weiteren Vorteil für die PiS. Sie hat nun den nötigen Spielraum, um sich auf die neue Rolle in der Opposition vorzubereiten. Dafür arbeitet der Parteiapparat bereits auf Hochtouren. Medien wie der Staatssender TVP werden dabei eine entscheidende Rolle spielen. Diese werden seit Jahren dazu missbraucht, um PiS-Botschaften zu verbreiten und die eigenen Positionen in der öffentlichen Meinung zu festigen. Nach der Wahlniederlage droht nun die Gefahr, dass die Opposition versuchen wird, das alles rückgängig zu machen. PiS-Chef Jarosław Kaczyński hat sich daher schon öffentlich für die Gründung eines neuen TV-Senders mit TVP-Journalist*innen ausgesprochen.

Auch die Kontrolle über die Justiz bleibt ein wichtiger Aspekt, um mögliche rechtliche Schritte gegen ehemalige Regierungsmitglieder abzufedern. Viele Gerichte wurden in den letzten Jahren mit PiS-treuen Richter*innen besetzt. Diese können nun ein wichtiger Faktor werden. Darüber hinaus mehren sich die Berichte über mögliche Aktenvernichtungsaktionen in den Ministerien. Regierungssprecher Piotr Müller weist diese Anschuldigungen jedoch aktuell zurück. Das Ausmaß der PiS-Aktionen bleibt jedoch Gegenstand anhaltender Diskussion und wird weiterhin von der Opposition genau beobachtet. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entwicklungen auf die politische Landschaft und die öffentliche Meinung in Polen auswirken werden.

Wie geht es weiter?

Aktuell ist schwer abzuschätzen, in welche Richtung der Machtpoker in Warschau sich entscheiden wird. Auf der einen Seite buhlt die PiS weiterhin um mögliche Koalitionspartner. So ließ Premierminister Mateusz Morawiecki in einem Interview verlauten, dass er bereit wäre, sein Amt an Władysław Kosiniak-Kamyszden, den Vorsitzenden der Oppositionspartei PSL, abzugeben, wenn dieser einer Koalition mit der PiS zustimmen würde. Auf der anderen Seite setzt das Bündnis aus KO, Trzecia Droga (zu dem auch die PSL gehört) und Lewica jedoch auf demonstrative Einigkeit. Tusk reagierte dementsprechend gelassen mit einem Tweet auf Morawieckis Aussagen: „Ruf nicht mehr an, Mateusz. Wir haben ein volles Kabinett.“

In jedem Fall macht die Entscheidung des Präsidenten, Morawiecki den erneuten Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen, die Situation nicht einfacher. Das Oppositionsbündnis hat eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern und signalisiert seine Bereitschaft zur raschen Bildung einer pro-europäischen Regierung. Dennoch wird die PiS alles daransetzen, diesen Prozess so schwer wie möglich zu gestalten. Der Regierungswechsel in Warschau wird somit alles andere als einfach.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom