Polen: Reden statt Bashen

, von  Charlotte von Knobloch

Polen: Reden statt Bashen
„Während ich in Breslau als Erasmus-Studentin die Chancen des grenzenlosen Europas wahrnahm, verbannte die Premierministerin Polens die EU-Flagge aus ihrem Pressesaal.“ © Monica Kelly / Link/ CC-BY-SA 2.0 Lizenz

In Polen erlebte Charlotte von Knobloch eine Gesellschaft voller Widersprüche. Zurück kam sie mit einer Idee. Wäre es möglich, miteinander über die Entwicklungen in Polen ins Gespräch zu kommen? Als Polen, als Deutsche, als Europäer?

Oft orientieren wir uns in Deutschland am Westen. Der US-amerikanische Wahlkampf ist uns bestens vertraut. Die Politik in unserer östlichen Nachbarschaft dagegen kaum. Auch Reisen gen Osten sind lange nicht so selbstverständlich wie nach Mallorca oder in die Toskana. Im letzten Jahr packte mich der Wunsch, den Osten Europas zu erkunden. Seine Gesellschaften, seine Mentalitäten und Lebensweisen, das Essen. Deshalb entschied ich mich von Hamburg nach Breslau zu ziehen, und dort für 5 Monate zu studieren.

Vor dem Aufbruch hatte ich viele Fragen. Tiefsinnige und eher praktische. Welche Gesellschaft erwartet mich? Bin ich als Deutsche willkommen? Lande ich in einer postkommunistischen Tristesse, wie man sie aus dem Fernsehen kennt? Alles grau in grau? Wie riecht es? Wie schmeckt das Essen?

Kaum angekommen, konnte ich meine Vorstellungen (meine Vorurteile?) mit der Realität vergleichen. Vorab: ich lernte sehr offene, liebenswerte Menschen kennen, und fühlte mich schnell als Teil dieser wunderschönen Stadt. Polen erlebte ich mit der Zeit als Land voller Widersprüche.

Da ist diese ungewohnte Gastfreundlichkeit. An ihr wird nie gespart, schon gar nicht beim Essen. Da ist diese Hilfsbereitschaft und Verbundenheit zwischen den Generationen. Im Bus werden augenblicklich Plätze freigemacht, für ältere Menschen. Eltern müssen oft nicht einmal fragen, ob ihnen jemand hilft, den Kinderwagen in die Tram zu heben. Kollektivistisch - so kam mir das Miteinander vor.

Aber da ist auch eine Geschlossenheit zu spüren, in dieser Gesellschaft. “Polen den Polen” ist auf dem Banner einer Demo in Breslau zu lesen. Eine Strohpuppe wird verbrannt. Sie soll einen Juden darstellen. Kommilitonen aus der Türkei und Nordafrika berichten, wie sie in der Öffentlichkeit misstrauisch beäugt werden.

Da ist dieser Stolz auf die polnische Unabhängigkeit, auf die Einigkeit, nach all der Unterdrückung, nach den vielen Jahrhunderten der Fremdherrschaft. Aber da sind auch die jungen polnischen Studenten, für die das offene Europa eine Selbstverständlichkeit ist.

Da ist der Materialismus mit seinen Statussymbolen, der Aufholbedarf gegenüber dem Westen, der Wunsch, das eigene Glück zu machen. Und trotzdem ist eine große Bescheidenheit zu spüren, weniger Anspruchsdenken. Hart zu arbeiten, um das eigene Studium zu finanzieren, sich selber zurück nehmen. Das gehört einfach zum Studentenleben dazu. Da kommt einem Deutschland im Schnitt etwas verwöhnter vor.

„Die deutschen Medien sind hysterisch“

Nun waren es brisante Zeiten, in denen ich in Polen lebte. Das Land hat großen Nachrichtenwert, seit der Regierungsübernahme durch die nationalkonservative PiS-Partei. Während ich dort als Erasmus-Studentin die Chancen des grenzenlosen Europas wahrnahm, verbannte die Premierministerin Polens die EU-Flagge aus ihrem Pressesaal– als eine ihrer ersten Amtshandlungen. In deutschen Online-Medien ging das “Polen-Bashing” los, und in Deutschland hätte ich die Berichte wahrscheinlich nur aus dem Augenwinkel und relativ unkritisch zur Kenntnis genommen. Nun aber konnte ich nicht anders, als das Polen-Bild der deutschen Medien mit der polnischen Realität abzugleichen. Ist Polens Demokratie in Gefahr? Ich begann mit Menschen vor Ort darüber zu sprechen.

Einen Professor fragte ich, ob Polen sich jetzt von Europa abwende. “Wie kommen Sie denn darauf?”, fragte er mich provokant zurück. Eine EU-Flagge zu verbannen heiße noch lang nicht, “europafeindlich” zu sein. Die neue Regierung sei einfach etwas lauter und durchsetzungsstärker. Die deutschen Medien seien hysterisch. Und warum sollte Polen Geflüchtete aufnehmen, nur weil Deutschland EU-Recht breche und sie alle nach Europa einlade? Am Abend hörte ich dagegen eine ganz andere Stimme. Meine Polnisch-Lehrerin war fassungslos über die politische Entwicklung: „It’s a tragedy.“

So widersprüchlich sollten die Eindrücke bleiben. Ich sah im Fernsehen die Protestmärsche und Ausschreitungen in Warschau, und erlebte auf dem Land Bauern, die mit dem neuen Regierungskurs sehr zufrieden waren. Während sich Breslau darauf vorbereitete, Europas glanzvolle Kulturhauptstadt 2016 zu werden, las ich in deutschen Medien von Polens drohendem Demokratieabbau.

Es ist immer leicht, den Stab zu brechen...

Bis heute kann ich die aktuellen Entwicklungen in Polen nicht so eindeutig einschätzen, wie manche Kommentatoren das tun. Ist die Politik der PiS anti-europäisch und chauvinistisch? Oder auf lange Sicht eher harmlos? Haben die Polen sie aus Überzeugung gewählt - oder auch, weil die Alternativen fehlten? Ich kann das nicht so leicht sagen - auch wenn ich nun oft danach gefragt werde. Erst Recht will ich keine Pauschalurteile über die Menschen in Polen fällen. Es ist immer leicht, den Stab über andere zu brechen, wenn sie nicht dabei sind. Aber im direkten Kontakt bekommen die Bilder aus den Medien Graustufen. Sie sind nicht mehr so schwarz-weiß. Jedenfalls ist es bei mir so, wenn ich an die Polen denke, die mir begegnet sind.

Diese Erfahrung, dieses Gefühl, nahm ich mit zurück nach Hamburg. Auch hier lässt mich Polen nicht mehr los. Ich lese weiter die Nachrichten, denke an Breslau (das ich ins Herz geschlossen habe), und finde es unbefriedigend, nur übereinander zu lesen, über das “fremde” andere Land. Könnten wir nicht unabhängig vom Aufenthaltsort miteinander reden? Von Bürger zu Bürger? Die grenzüberschreitenden Kontakte sind ja da. Es ist verblüffend, wie viele Menschen zum Beispiel in Deutschland Polen kennen, persönlich oder über drei Ecken. Man muss nur einmal herum fragen.

Auch haben wir theoretisch die digitalen Möglichkeiten dazu, direkt miteinander ins Gespräch zu kommen, als Polen, Deutsche, als Europäer. Dazu möchte ich aufrufen. Lasst uns doch die Fremdheitsgefühle überwinden, die ich selbst hatte, bevor ich mich nach Polen aufmachte. Warschau liegt näher an Berlin als Brüssel.

Wir können die aktuellen Umwälzungen in Europa – und Polens Kurswechsel gehört dazu – miteinander bereden und versuchen, uns besser zu verstehen.

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