Reden statt bashen, berichten statt hetzen

, von  Frank Segert

Reden statt bashen, berichten statt hetzen
Bleiben Medien in Deutschland fair, wenn es um Polens neue Regierung geht? Foto: Screenshot aus ARD Mediathek / tagesschau.de, April 2016

In Polen liegen die Nerven schon mal blank, wenn Medien in Deutschland die Geschichte verdrehen. Auch manche „Breaking News“ aus Polen entpuppt sich als schlecht recherchiert. Frank Segert von Polen.pl meint allerdings: Würde die Auslandspresse einfach der polnischen Regierung applaudieren, hätte sie wirklich etwas falsch gemacht.

Das Positive zuerst: Selten hat Polen so viel Aufmerksamkeit in deutschen Medien erhalten, wie in diesen Wochen. Doch die eiligen Reformen der neu gewählten PiS-Regierung und die rechtlich zweifelhaften Gesetzesänderungen, welche das Verfassungsgericht sowie die öffentlich-rechtlichen Medien umbauen, treffen in Deutschland in erster Linie auf Kritik. Gehen deutsche Medien unfair mit der polnischen Regierung um?

Diesem Vorwurf sehen sich – nicht nur deutsche – Medien und Politiker, die sich zu den Geschehnissen in Polen äußern, immer häufiger ausgesetzt. So ließ die Regierung Szydło mehrmals verlautbaren, die kritischen Urteile aus dem Ausland basierten in erster Linie auf falschen Informationen und einer verzerrten Darstellung durch die linksliberal dominierte Mainstream-Presse Europas. Der Tonfall abseits des diplomatischen Parketts geht da schon deutlich rauer zu Werke.

Die Gesellschaft für deutsch-polnische Nachbarschaft – Sąsiedzi (GdpNS) bereitet über ihre Facebook – & Twitter-Accounts täglich einen Pressespiegel deutschsprachiger polenbezogener Nachrichten auf. Regelmäßig müssen sie sich dem Vorwurf der Lüge und der Verbreitung von Propaganda zur Wehr setzen. Und auch unser Projekt, der von Polen-Enthusiasten ehrenamtlich geführte Blog Polen.pl, muss regelmäßig Kommentare auf Facebook löschen, die ein zulässiges Maß an Kritik bei weitem überschreiten. Das ist jedoch nichts, verglichen mit dem Hass, dem sich internationale Warschau-Korrespondenten auf Twitter aussetzen. Henry J. Foy (Financial Times), der ein exklusives, selbstredend kritisches Interview mit Jarosław Kaczyński führen durfte, kann ein Lied davon singen. Christian Davis schrieb für den Guardian ein langes, vielbeachtetes Stück mit dem Titel „The concpiracy theorists who have taken over Poland“ (das wenig später auch in der linksliberalen Gazeta Wyborcza erschien) und löschte seinen Account kurz darauf ganz, statt sich die Beschimpfungen wütender Leserinnen anzutun.

Die Wellen schlagen also hoch in Polen (oft genug auch bei emigrierten Polen, was sich in den Profilen der Hater ablesen lässt), wenn die westliche Presse kritisch kommentiert. Im Zentrum dieses Beitrags sollen jedoch weder die Diskussionskultur im Internet noch die beleidigenden „Antworten“ der nationalkonservativen Presse (etwa die berüchtigten Titelbilder der Wochenzeitungen Wprost und wSieci) stehen. Die Frage ist vielmehr: Liegen den stürmischen Reaktionen nicht vielleicht doch substanzielle Fehler aufseiten der Beobachter aus dem Ausland zugrunde?

Wie es in den Wald schallt…

Völlig abwegig ist das nicht. Denn ein Blick auf die heimische Medienlandschaft entblößt gerade im Umgang mit dem Nachbarn immer wieder zweifelhafte Veröffentlichungen in Deutschland. Sei es in der Kontroverse um die Darstellung der Armia Krajowa im preisgekrönten TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder die untragbare Formulierung „polnische Konzentrationslager“, deren Verwendung in der WELT für verständlichen Aufruhr sorgte. Trotz einer Entschuldigung des Chefredakteurs kam es zu einem Zivilprozess in Warschau. Polen hat also seine Erfahrungen mit falschen Darstellungen in deutschen Medien gemacht.

Es ist keine Überraschung, dass gerade die deutsch-polnische Geschichte immer wieder für Kontroversen sorgt. Die sich abzeichnende Tendenz, das deutsch-polnische Verhältnis unter der PiS-Regierung wieder verstärkt unter historischen Vorzeichen zu lesen, wird daran nichts ändern. Einen Vorgeschmack lieferte ein Offener Brief des Justizministers Ziobro an den u.a. für Medienpolitik zuständigen deutschen Kommissar Oettinger, der in einem FAS-Interview die Möglichkeit erörterte, die polnische Regierung ggf. „unter Aufsicht“ durch die Kommission zu stellen. „Ich bin der Enkel eines polnischen Offiziers, der im Zweiten Weltkrieg im Untergrund gegen die ‚deutsche Aufsicht‘ kämpfte,“ zitiert die FR Ziobro aus dem scharf abgefassten Schreiben.

Das Auslassen von historischen Kontexten garantiert natürlich nicht, dass Konflikte ausbleiben. Als der langjährige Warschau-Korrespondent der ARD, kurz vor Verkündung der Wahlergebnisse in Polen, in einem Tweet fragte, „ob die Polen wirklich so dumm sind und die Rechten wählen“, nahm das die Öffentlichkeit in Polen selbstverständlich ebenfalls wahr. Wenngleich der zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in Warschau arbeitende TV-Journalist seine Aussage später im Tagesschau-Blog als „flapsig“ bezeichnete und als seine Privatmeinung verteidigte, bleibt doch in erster Linie die Wortwahl hängen, mit der er seine Sorge zum Ausdruck brachte.

Alarmismus als Grundeinstellung

Was folgt daraus? Dürfen deutsche Journalisten die polnische Politik nicht mehr kritisch kommentieren? Natürlich dürfen sie das, in einer gemeinsamen Europäischen Union müssen sie es sogar. Die beispielhaft gewählten Verfehlungen verdecken leider das beträchtliche Maß an Expertise, welches mittlerweile in deutschsprachigen Medien zu Polen existiert. Verwiesen sei etwa auf die Mehrheit der langjährigen Korrespondenten dieser Liste, denen es auch in aktuellen Debatten wie zur Flüchtlingspolitik gelingt, den moralinsauren Zeigefinger in der Tasche zu lassen. In diese Reihe gehören ferner zahlreiche weitere Namen, die als „Freie“ und „Feste“, u.a. in dem Korrespondenten-Netzwerk n-ost, sehr gute Arbeit machen.

Umso irritierender, dass auch in großen Medien in der aktuellen Situation, Kollegen zu Wort kommen, die kaum weniger populistisch den Lautsprecher geben, als jene Politikerinnen, die sie kritisieren wollen. Die Kolumne „Der schlechte Polenwitz“ von Jakob Augstein bei Spiegel Online etwa steht in dieser Reihe. Eine als Kommentar verkleidete Polemik, welche die PiS-Wählerschaft in die Nähe Putins rückt – desjenigen Mannes, der von der nationalkonservativen Regierungspartei für den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010 mitverantwortlich gemacht wird! Was Augstein scheinbar ernst meint, ist an Absurdität nicht zu überbieten.

Wo Sorgfalt und Ausgewogenheit gefragt sind, helfen Eigenheiten des Online-Journalismus leider auch nicht weiter, welche die Faktentreue manchmal der Schnelligkeit opfern. So wurde die Einladung des Deutschen Botschafters ins polnische Außenministerium von fast allen deutschen News-Apps fälschlicherweise als „Einbestellung“ per Push-Nachricht verbreitet. Jüngst veranlasste das Interview der Gazeta Wyborcza mit Außenminister Waszczykowski die Online-Redaktion der heute-Redaktion noch einmal dazu, „Breaking News“ zu verbreiten – und das, wo es sich bei der Aussage, die Zusammenarbeit im Weimarer Dreieck habe sich „erschöpft“, um eine treffende Zustandsbeschreibung für ein Format politischer Zusammenarbeit handelte, welches Zeit seines Bestehens höchst unterschiedlich oft benutzt wurde. Es folgte eine irritierte Antwort aus dem Auswärtigen Amt, für welches die Sachlage so klar nicht ist. Mit etwas mehr Zeit und ein paar fachkundigen Augen auf der Agenturmeldung wäre der unangemessene Breaking News Alert hoffentlich ausgeblieben.

Mehr Sorgfalt, bitte!

So kommen wir zu der wenig überraschenden Schlussfolgerung, dass deutsche Medienberichterstattung über Polen Fehler aufweisen kann – wie jede Berichterstattung über jedes beliebige Land der Erde in jeder Redaktion der Welt auch. Im Sinne guter deutsch-polnischer Beziehungen ist zweifelsohne wünschenswert, dass diese ausblieben. Sie sind jedoch, so sie auftreten, Resultat mangelnder Sorgfalt und an einzelnen Schnittstellen auch fehlender Fachkenntnis – jedoch nicht Ergebnis einer bewussten Benachteiligung Polens und keinesfalls Resultat ministerieller Anweisungen wie ein stramm national-konservatives, polnisches Blatt suggeriert.

Wünschenswert ist deshalb, polnische Stimmen aus allen politischen und gesellschaftlichen Lagern in der deutschsprachigen Medienlandschaft hörbar zu machen. Unabdingbar ist außerdem, Autorinnen mit entsprechenden Sprachkompetenzen zu beschäftigen. Da wird es abgesehen von den Korrespondenten in den Redaktionen der Republik sehr rar. Fest steht aber auch, dass kritische Kommentare zu einer umfassenden Berichterstattung dazugehören. Der Kern der aktuellen Debatte ist ja nicht handwerklich mangelhafte deutsche Berichterstattung, sondern dass überwiegend sachgerecht über die zweifelhafte Gesetzgebung im Verfassungs- und Medienrecht berichtet wird und dies der verantwortlichen Regierung nicht gefällt. Würde sie der Presse applaudieren, hätte diese wirklich etwas falsch gemacht.

Dieser Text ist Teil der Serie „Poland on my Mind“ unseres Medienpartners Publixphere und parallel auf Polen.pl erschienen. Publixphere wagt mit der Beitragsreihe ein Experiment: Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über ’Polen in Europa’ zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen könnt Ihr euch in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln.

Ihr Kommentar
  • Am 22. April 2016 um 21:12, von  duodecim stellae Als Antwort Reden statt bashen, berichten statt hetzen

    Danke mit dem Link zu Augsteins Kommentar. Er las sich wirklich sehr gut. Augstein hat mit allem recht! Sorry, ich habe genug polnische Verwandtschaft und genug Osteuropäer im Freundeskreis, um zu einem ähnlichen Schluss zu kommen. Ein Bekannter aus der Slowakei hat mir auch mal voller Stolz erzählt, dass es in der Slowakei keine Radwege gibt (als wären Radwege ein Beweis für die Dekadenz des Westens und den Verfall des Abendlandes) und dass er die Gesellschaftspolitik von Putin schätzt. Im Bezug auf Polen ist der Vergleich mit Putin auch sehr treffend und empört den fanatischen Russenhasser Kaczynski natürlich sehr. Genau deshalb ist der Vergleich auch gelungen, weil man diesen mittelalterlichen Nationalisten ein Spiegelbild vorhält, dass sie eben nicht sehen wollen. Vielleicht spricht da der Osteuropäer in mir, aber ich glaube nicht dass man Betonköpfe mit sanfter Diplomatie von ihrer Sache abringen kann. Sowas interpretieren die nur als Schwäche, da hilft nur eine klare Ansage die auch gern beleidigend wirken darf, damit sie einen Eindruck hinterlässt. Natürlich gibt es auch in Osteuropa viele vernünftige, sachliche Menschen mit gesundem Verstand, aber leider gibt es viel zu viele mit einem schrägen Nationalkomplex, mit denen kein Europa zu machen ist. Leider beobachte ich, dass in den letzen Jahren nicht der Osten vom Westen gelernt hat, sondern dass der fanatische nationalistische Schwachsinn zusehends auf den Westen übergreift und auch da spricht der Osteuropäer aus mir: weite Teile der westlichen, aufgeklärten und liberalen Bildungsbürger bestehen leider aus unwehrhaften Konsensweicheiern die radikalen Persönlichkeiten wie Kaczynski und Putin nichts entgegensetzen können.

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