Vor etwa einem halben Jahr, am 18 September 2020, starb die amerikanische Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg (RBG). Sie galt als Ikone der amerikanischen Frauenbewegung. Kultstatus erhielt sie, nachdem der Oberste US-amerikanische Gerichtshof, der Supreme Court (SCOTUS), in seinen Haltungen immer weiter nach rechts rückte und RBG sich in vielen Angelegenheiten mit Statements - Dissents – dagegen positionierte. Mit ihren Dissents zwang sie die Presse, die restlichen Richer*innen und allen anderen Prozessbeteiligten, bei der Verlesung dieser, ihre Meinung zu hören. Über die Landesgrenzen hinweg, hörte man ihr dabei gebannt zu. Und mit dem inoffiziellen Titel „Nutorious RBG“, wurde sie noch mit über 80 Jahren zur Popkulturlegende.
Die akademischen Anfänge: Von Brooklyn nach Harvard
RBG wuchs im Brooklyn der 1930er Jahre auf. Ihre Mutter starb einen Tag vor ihrem Highschool-Abschluss. Ein tragischer Moment, denn Ginsburgs Mutter, die auf eine akademische Ausbildung verzichten musste, verpasste so den Beginn des universitären Aufstiegs ihrer Tochter.
Nach dem Schulabschluss studierte RBG in Harvard Jura, und heiratete den späteren Anwalt Martin Ginsburg. Bereits an der Universität fiel RBG auf: Sie war damals eine von neun Frauen* unter 500 Studierenden, und hatte zudem ein 14 Monate altes Kind. Doch ihr Kampfgeist zeigte sich nicht nur an dem hart erkämpften Havardplatz oder der Tatsache, dass sie es für möglich hielt in einem stark männlichen Milieu zu bestehen. Es zeigte sich, als ihr Mann, der nur wenige Semester über ihr war, an Krebs erkrankte, und sie zusätzliche seine Kurse belegte, um ihm die Mitschriften zu geben.
Nach ihrem Abschluss arbeitete sie eine Zeit an der prestigereichen Columbia University, und fuhr für eine Forschungsreise nach Schweden. Sie beschrieb, dass Schweden, und einige andere europäische Länder, in Sachen Frauengleichberechtigung viel weiter seien als die USA. Ginsburgs Ansicht nach, wurde in Europa weniger in Frage gestellt, ob der Platz der Frau in einer Gesellschaft nicht auch bei der Arbeit sein kann. Inspiriert vom europäischen Liberalismus fuhr sie zurück in die USA der 60er Jahre. Hier erhielt sie eine Professur an der Rutgers Universität.
Die ersten Schritte vor dem Supreme Court
Einige Jahre später führte sie mit der ACLU (Abkürzung für American Civil Liberties Union), der amerikanischen Bürgerrechtsbewegungsorganisation, als Anwältin Fälle bis vor den Obersten Gerichtshof der USA. Ein Fall behandelte dabei die Diskriminierung gegen einen Mann aufgrund seines Geschlechts. Wie mit einem trojanischen Pferd zeigte sie auf, dass Sexismus, auch wenn überproportional von Frauen* erfahren, auch bei Männern unrechtsmäßig ist. Mit Hilfe des Klienten Stephen Wiesenfeld konnte sie die ausschließlich männlichen Richter für sich gewinnen. Denn Stephen Wiesenfeld hatte als Witwer und alleinerziehender Vater Sozialhilfe beantragt. Neben dem schmerzhaften Verlust seiner Frau, verlor er auch die wesentliche Einnahmequelle des Haushaltes. Doch ihm wurden nicht die gleichen Sozialbezüge zu teil, wie es für Frauen* - in der gleichen Lage - vorgesehen war. Denn das System sah Männer immer als Hauptverdiener vor, und erwägte nicht die Situation, in der sich Herr Wiesenfeld wiederfand. Dutzende solcher Gesetzte unterschieden auf der Grundlage des Geschlechtes, meist jedoch zum Nachteil von Frauen*.
Gesetz für Gesetz zeigte RBG die Problematik von Sexismus auf und focht somit bestehende Rechtspraktiken geschickt an. Sie wurde zur gefeierten Verfechterin von Frauenrechten.
Ernennung zur Richterin am Supreme Court
1993 ernannte Präsident Bill Clinton RBG zur Richterin am Supreme Court. Mit 60 Jahren wurde sie in das höchste juristische Amt des Landes gehoben, und nahm auf der Richterbank Platz, vor der sie schon so oft versucht hatte die Richter*innen für sich zu gewinnen.
In den darauffolgenden Jahren verteidigte sie elementare Gesetze der amerikanischen Verfassung. Darunter Roe v. Wade, jenes Gesetz, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Persönlichkeitsrecht erhält. Anders wie beispielsweise hier zu Lande der Paragraph 218 eine Abtreibung nur als nicht straffbar einstuft, aber dennoch als gesetzeswidrig erachtet, sorgte RBG dafür, dass es als Recht geachtet wird. Zwar stand sie dem Gesetz vor ihrer Ernennung an den Obersten Gerichtshof in Teilen auch kritisch gegenüber, aber sie lies nie Zweifel an ihrer Unterstützung zum Abtreibungsrecht aufkommen.
Beispielhaft für ihre tief verankerten demokratischen Werte, war RBGs Freundschaft zu dem Richter Antonin Scalia, der ebenfalls im Obersten Gerichtshof praktizierte . Scalia war ein sehr konservativer Richter, der viele Jahre mit ihr am SCOTUS arbeitete. Dabei nahm er jedoch stets am anderen Ende der Richterbank Platz . Beide wiedersprachen sich regelmäßig in ihren Ansichten, wie Gesetztestexte auszulegen seien. Dennoch vertraten beide die Meinung, dass es für den demokratischen Diskurs unablässig sei auch im Austausch mit gegenteiligen Meinungen zu stehen.
Trotzdem war es RBG immer ein großes Anliegen ihre Positionierung klarzustellen: Mit verschiedenen ausgefallen Krägen an ihrer Richterrobe signalisierte sie stets, ob sie für oder gegen die Entscheidung der Mehrheit am Gericht war. Und lies so nie einen Zweifel an ihrer Position aufkommen.
Heldin junger Generationen
Sie inspirierte und schwang feurige Reden. Nicht zuletzt bei der Frage ob die „Ehe für Alle“ zum Gesetz werden solle, hörte man ihre befürwortende Stimme heraus. Einige Länder, darunter Deutschland, folgten dem amerikanischen Beispiel nach dem Erlass des Gesetzes. Sie gewann großes Ansehen bei jungen Leuten, die oft die Proteste leiteten die solche Gesetze auf den Weg brachten, so auch hier in Europa. Ihr Spitzname „Notorious RBG“, angelehnt an den Rapper Notorious B.I.G., zeigt dabei vielleicht wie sehr sie bewundert wurde.
RBG schlug Wellen und inspirierte über die amerikanischen Grenzen hinaus. Auf die Frage, wie viele Frauen* ihrer Meinung nach am SCOTUS sein sollten, antwortete sie neun. Damit wären alle Sitze vergeben. Schließlich hätten lange genug nur Männer diese Sitze belegt und niemand hatte das in Frage gestellt. Wenn nur Frauen* dieses Amt tragen würden, dann wäre das vielleicht ein Beweis dafür, dass es endlich keine Rolle mehr spielen würde welches Geschlecht man hat. Man würde einfach den Job machen, so die Richterin.
Mit RBG ist nicht nur eine Kämpferin und Legende gegangen, nicht nur das liberale Bollwerk des Gerichtshofes, sondern auch ein Sitz auf der Richterbank ist frei geworden. Die darauffolgende Neubesetzung durch die konservative Amy Coney Barrett lies die Mehrheitsverhältnisse am Gerichtshof weiter nach rechts rücken und damit Gesetze ins Wanken, die Grund- und Menschenrechte garantieren. Auch Gesetze, die globalen Einfluss nehmen, wie bei Fragen des Datenschutzes oder dem Klimawandel. Das in einer globalisierten Welt, Gesetze und Erlasse über Staatsgrenzen hinaus eine Wirkung entfalten, war RBG bewusst, es prägte viele ihrer Entscheidungen. Sie verdeutlichte ihr transnationales Wirken mit Sätzen wie diesem, der allen Frauen*, nicht nur denen in den USA, gewidmet war: „Women will have achieved true equality when men share with them the responsibility of bringing up the next generation.“
Die zierliche Frau von nur einem Meter fünundfünfzig, die drei Mal gegen den Krebs siegte, ist seit etwa einem halben Jahr tot. Bis ins hohe Alter, sie wurde 87 Jahre alt, bewunderte man ihren Scharfsinn und ihren Arbeitsethos. Nach ihrem Ableben würdigte man sie, indem man sie im US-Capitol aufbahrte. Als erste Frau und als erster Mensch jüdischen Glaubens.
Eine Titanin. Eine Ikone. Ein außergewöhnlicher Mensch. Nun bleibt abzuwarten, ob Ruth Bader Ginsburgs Vermächtnis erhalten bleibt.
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