Leitartikel zum 15. Geburtstag von treffpunkteuropa.de

Sprachbarrieren in europäischen Medien einreißen

, von  Marie Menke

Sprachbarrieren in europäischen Medien einreißen
Medien sind für uns allgegenwärtig. Europäisch sind sie jedoch nur selten. Foto: Unsplash / CoWomen / Unsplash License

2005 ging auf dieser Webseite der erste Beitrag online. Zum fünfzehnten Geburtstag von treffpunkteuropa.de erinnert Redakteurin Marie Menke daran, warum es 2020 für europäische Medien wichtiger denn je ist, sich nicht von Sprachbarrieren und nationalen Grenzen aufhalten zu lassen.

Liebe treffpunkteuropa.de-Leser*innen,

im Sommer 2018 machten Bilder des G7-Gipfels die Runde, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Das Team der deutschen Kanzlerin veröffentlichte ein Foto, auf dem Angela Merkel mit auf den Tisch gestützten Händen auf Donald Trump einredet. Währenddessen stellte das Team des französischen Premierministers dem ein Bild entgegen, auf dem die Staats- und Regierungschef*innen gebannt Emmanuel Macron lauschen. Nicht anders reagierten die Presseteams der italienischen und US-amerikanischen Regierung. Auf dem Treffen hochrangiger Politiker*innen trafen nicht nur verschiedene Interessen, sondern auch unterschiedliche an die Öffentlichkeit weitergetragene Blickwinkel aufeinander.


Vier Blickwinkel, ein Treffen.


Europäische Wahlen, nationale Blickwinkel

Der Fall des G7-Gipfels ist besonders interessant, weil der Vergleich der Bilder es in die Schlagzeilen schaffte. Das gelingt aber nicht jedem Bild, egal wie einseitig es sein mag. Wie viele Zeitungsartikel habt Ihr im vergangenen Jahr über eins Eurer europäischen Nachbarländer gelesen? Und wie viele dieser Artikel wurden von Journalist*innen aus dem Land, über das geschrieben wurde, verfasst? Oder sogar auch in dem Land, um das es geht, veröffentlicht? Ich muss mir bei der Frage an die eigene Nase fassen: Es sind nur wenige.

Die Reihe unglücklich national geprägter Berichterstattung lässt sich beliebig fortführen: Kaum unterschiedlicher hätte auch die Schwerpunktsetzung des deutschen öffentlich-rechtlichen ZDFs und des französischen Senders France 2 vor, während und nach den Europawahlen 2019 sein können. Was in der Berichterstattung passierte, spiegelte sich nicht zuletzt in den Wahlkämpfen der Parteien wider: Zahlreiche Plakate warben im Mai 2019 mit den Gesichtern nationaler Politiker*innen, die gar nicht für das Europaparlament kandidierten. Selbst der aussichtsreichste deutsche Spitzenkandidat für das Amt der Kommissionspräsidentschaft, Manfred Weber, blieb damit vergleichsweise unbekannt.

Sprachbarrieren reproduzieren nationale Grenzen

Aus der Berichterstattung ergeben sich Realitäten: Während der Staatsschuldenkrise verbreitete sich ab 2010 in Deutschland das Narrativ, dass Griechenland das Geld der EU „verprasse“ und damit andere EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, ausnutze. Währenddessen lautete das vorherrschende Narrativ in Griechenland, dass Deutschland den Euroraum maßgeblich zum eigenen Profit gebaut habe und die griechische Wirtschaft und Gesellschaft nun finanziell ersticken ließe. Was fehlte war eine vermittelnde Instanz zwischen den nur scheinbar objektiven Realitäten der EU-Bürger*innen.


In ihrem Ted-Talk “The danger of a single story” prangert Chimamanda Ngozi Adichie einseitige Narrative an.


Das Internet lässt uns leicht glauben, dass der digitale Raum grenzenlos sei. Faktisch ist das Quatsch: Allein Sprachbarrieren reproduzieren nationale Grenzen massiv. Solange es keinen europäischen Medienraum gibt, der solche Grenzen überwindet, gibt es auch weder eine europäische Öffentlichkeit, die gemeinsam diskutieren kann, welches Europa wir haben wollen, noch gibt es das für ein geeintes Europa bitter nötige Verständnis für die Wünsche, Sorgen und Ängste anderer EU-Bürger*innen.

Für Sprachenvielfalt und Übersetzungen

Einige europäische Medienprojekte gibt es bereits, zu einem europäischen Medienraum haben sie bisher aber nicht geführt. Entweder sind sie sprachlich und damit auch national stark begrenzt oder berichten zum einen auf Englisch als Sprache, auf der sich nicht alle Europäer*innen informieren können, oder zum anderem explizit an einen elitären Personenkreis wie die “Brüsseler Blase” adressiert.

Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Auf treffpunkteuropa.de veröffentlichen wir nicht ausschließlich auf Englisch, weil wir auch Leser*innen ohne oder mit geringen Englischkenntnissen informieren und Europas Sprachenvielfalt wertschätzen möchten. Statt fremdsprachige Inhalte auszublenden, übersetzen wir: Auf treffpunkteuropa.de kann ich deshalb nachlesen, was junge Europäer*innen über Themen denken, die uns alle etwas angehen – und das kann ich selbst dann, wenn wir nicht dieselben Sprachen sprechen.

2005 ging auf dieser Webseite der erste Beitrag bei unserem französischen Partnermagazin Le Taurillon online. Währenddessen veröffentlichte Treffpunkt Europa ein gedrucktes Mitgliedermagazin. Seitdem ist viel passiert: Wir sind mehr geworden, digitaler, vernetzter und diverser. 2020 feiert treffpunkteuropa.de sein fünfzehnjähriges Bestehen – fünfzehn Jahre voller europapolitischer Berichte, Analysen und Kommentare, Übersetzungen aus sechs Sprachen und multinationalen Formaten im Magazin und auf Social Media.

Auf dass auch die Zukunft mehrsprachig ist. Und auf Euch!

Eure Marie

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