Straßburg: Präsident des Libanon fordert Unterstützung Europas

, von  Clément Faul, übersetzt von Etienne Höra

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Straßburg: Präsident des Libanon fordert Unterstützung Europas
Michel Aoun, Präsident des Libanon, sprach am 11. September 2018 vor dem Europäischen Parlament. Fotoquelle: © European Union 2018 - Source : EP / DAINA LE LARDIC / Identification of origin mandatory

Der Präsident des Libanon, Michel Aoun, hat anlässlich einer feierlichen Sitzung am 11. September 2018 vor dem Europäischen Parlament gesprochen. Bei seinem ersten offiziellen Besuch im Europäischen Parlament hat er mehrere für den Libanon zentrale Themen angesprochen: die verheerenden Effekte des Bürgerkriegs in Syrien, die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes, die kürzlich stattgefundene Parlamentswahl und die Politik der internationalen Gemeinschaft im Nahen Osten, vor allem in Bezug auf Palästina.

Die syrische Flüchtlingskrise, eine „untragbare Last“ für den Libanon

Im internationalen Vergleich und im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl hat der Libanon seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien im Jahre 2011 die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Das kleine Land, das im Norden und Osten an Syrien und im Süden an Israel grenzt, hat nicht mehr als 6,2 Mio. Einwohner. Die Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen, zusätzlich zu den zahlreichen palästinischen Flüchtlingen, die seit langer Zeit in dem Land leben, ist daher eine beispiellose Herausforderung für den Libanon.

Obwohl die libanesische Regierung ihre Einwanderungspolitik seit 2015 verschärft hat, vor allem durch einen Stopp bei der Erfassung syrischer Flüchtlinge durch die zuständigen Behörden, ist die Anzahl der syrischen Flüchtlinge, die in dem Land registriert sind, nur leicht gesunken: von 1,017 Mio. im Jahr 2016 auf 1,001 Mio. 2017. Die Zahlen stammen aus einem gemeinsamen Bericht von UNICEF und der UN-Flüchtlingsagentur aus dem Jahr 2017.

Von Anfang an hat daher der libanesische Präsident in seiner Rede an den Ernst der Lage erinnert, in der sich sein Land befindet, bedingt vor allem durch den syrischen Bürgerkrieg. „Migration, vor allem von Syrern, ist eine der schwersten Auswirkungen der Kriege in unserer Nachbarschaft, von denen unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit betroffen sind. Aus menschlicher Solidarität hat der Libanon mehr als eineinhalb Mio. Syrer aufgenommen, die aus der Hölle des Bürgerkriegs in ihrem Land geflüchtet sind.“

Michel Aoun hat in der Folge das Scheitern der internationalen Solidarität angesichts der massiven Migrationsbewegungen der letzten Jahre betont. Die internationale Gemeinschaft – vor allem die EU – habe „das Prinzip der Lastenverteilung zwischen Staaten“ vernachlässigt. Damit habe sie die Chance verpasst, die Auswirkungen der Migration auf den Libanon abzumildern. Aoun forderte in diesem Kontext von der EU die tatsächliche Auszahlung von Finanzhilfen, die auf einer Konferenz in Brüssel im April 2018 zugesagt wurden. Auf dieser Konferenz, an der 57 Länder, zehn regionale Organisationen und 19 Agenturen der UN teilgenommen hatten, wurden 4,4 Mrd. Dollar an Hilfen für das Jahr 2018 beschlossen. Diese Hilfen sollen den Syrer*innen in ihrem eigenen Land oder in den Nachbarländern zugutekommen.

Der libanesische Präsident Aoun wies auch auf einige Probleme des Schlusskommuniqués der Konferenz hin. Er kritisierte insbesondere, dass die Rückkehr der Flüchtlinge nur auf freiwilliger Basis und nach Erreichen einer politischen Lösung im Konflikt vorgesehen sei, sowie die vorgesehene Integration der Flüchtlinge in den örtlichen Arbeitsmarkt. „Ich erinnere daran, dass der Libanon ein Auswanderungsland ist und keines, in dem sich Menschen ansiedeln. Dies gilt noch weniger für den Arbeitsmarkt. Der Beweis dafür sind die vielen Libanesen, die in Europa und in der ganzen Welt verstreut leben.“ Die libanesische Diaspora, die in Folge der zahlreichen Krisen, die das Land erlebt hat, gewachsen ist, ist in der Tat eine der größten und ältesten der Welt.

Zum Abschluss des Flüchtlingsthemas betonte Aoun, dass das Hauptziel seiner Politik eine sichere und menschenwürdige Rückkehr der Syrer*innen sei. Jede Verzögerung diesbezüglich lehne er ab. „Mein Land unterstützt alle Ansätze, die versuchen, die massive Vertreibung von Syrern auf unser Territorium zu beenden, so zum Beispiel die russische Initiative. Wir lehnen es ab, die Rückkehr der Vertriebenen an eine politische Lösung zu binden, die in weiter Ferne liegen könnte.“

Die Palästinafrage

Seit seiner Gründung hat der Libanon immer wieder politische Krisen sowie einen blutigen Bürgerkrieg durchgemacht, auf den mehrere kurz aufflammende Konflikte folgten. Das Ereignis, das sich am stärksten auf das Land auswirkt, ist ohne Zweifel der Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten. Die Palästinafrage steht weiterhin im Zentrum der libanesischen Politik.

Der libanesische Präsident betonte, dass „die internationale Politik im Nahen Osten die Radikalisierung weiter vorantreibt und Gewalt und Terrorismus Tür und Tor öffnet“. In der Folge wies er darauf hin, dass diese Politik Israel dazu gebracht habe, Jerusalem zu „judaisieren“ und es zu seiner Hauptstadt zu machen, entgegen „aller Resolutionen der Generalversammlung der UN und des UN-Sicherheitsrates.“

Ende August 2018 haben die USA bestätigt, dass sie das Palästinenserhilfswerk der UN (UNRWA) nicht weiter unterstützen werden. Die UN-Agentur für palästinensische Flüchtlinge, die 1949 nach dem Ausbruch des ersten israelisch-arabischen Krieges geschaffen wurde, leistet lebenswichtige Unterstützung für die Palästinenser*innen, die im Westjordanland und im Gaza-Streifen, aber auch in Jordanien, im Libanon und in Syrien leben. Insgesamt sind heute 5,2 Mio. Palästinenser*innen durch das UNRWA als Flüchtlinge registriert.

Für Aoun bedeutet diese Entscheidung der USA den Beginn einer dauerhaften de facto Ansiedlung der Palästinenser*innen in den Aufnahmeländern, darunter der Libanon, dessen Verfassung die Ansiedlung von Menschen ohne libanesische Herkunft verbietet. Die derzeitige Situation lehne das Land „im Namen der Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen“, so Aoun.

Die wirtschaftliche Lage bleibt angespannt

Es ist nicht überraschend, dass Aoun auch wirtschaftliche Themen angesprochen hat. Die EU ist der wichtigste Handelspartner des Libanon, ein Drittel des libanesischen Außenhandels findet mit europäischen Ländern statt. Seit 2006 werden die Beziehungen zwischen dem Libanon und der EU durch ein Assoziationsabkommen geregelt. Michel Aoun erinnerte daran, dass der Libanon sowohl auf wirtschaftlicher, sozialer und sicherheitspolitischer Ebene schwer unter den Krisen in seinen Nachbarländern leide. Er wies darauf hin, dass der Libanon vor zahlreichen Herausforderungen stehe, besonders im wirtschaftlichen Bereich. Seine Regierung bemühe sich, durch verstärkte Aktivität in den Produktivsektoren und modernere Infrastruktur die Wirtschaft im Land anzukurbeln. Damit halte sich das Land an die Ergebnisse der sogenannten CEDRE-Konferenz1 zur Unterstützung des Libanon, die am 6. April 2018 in Paris stattgefunden hat.

Auf dieser Konferenz wurden dem Libanon elf Mrd. Dollar an Spenden und Krediten zugesichert. Fünfzig Staaten und internationale Organisationen waren zusammengekommen, um dem Land bei der Finanzierung seines mehrjährigen Entwicklungsprojekts zu helfen. Laut Aoun werde das Projekt von Maßnahmen gegen Korruption und für mehr Transparenz begleitet. Die Hauptverantwortung für die Umsetzung der Programme liege aber bei der nächsten Regierung. Die politische Lage – instabil, aber kein Grund zur Sorge Seit den Wahlen zum libanesischen Parlament am 6. Mai 2018, bei denen die radikal-schiitische Hisbollah einen knappen Sieg davongetragen hat, ist die Regierungsbildung schwierig. Die Parteien, die Erfolge bei der Wahl verzeichnen konnten, kommen aus völlig entgegengesetzten politischen Lagern. Bis jetzt ist noch keine Regierung zustande gekommen.

Aoun betonte dennoch, dass in dieser Zeit der politischen Spaltung die Einheit des Libanon keineswegs gefährdet sei. Extremistische Stimmen seien zwar hörbar, würden sich aber nicht verbreiten. Die libanesische Gesellschaft sei nicht anfällig für Extremismus, vielmehr seien Religionsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit integraler Bestandteil der Kultur des Libanon. Diese Eigenschaft des Libanon helfe ihm dabei, seine Probleme zu überwinden, und könne als Vorbild für andere Länder dienen. Aoun plant, den Vereinten Nationen demnächst einen Plan vorzulegen, der aus dem Land ein dauerhaftes Zentrum des internationalen und interreligiösen Dialogs machen könnte. Dafür hofft er auf die Unterstützung der EU.

1 Frz. Cèdre – Zeder. Der Baum ist das Nationalsymbol des Libanon.

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