Sylvie Goulard: “Ich unterstütze Macron und seine Vision für Europa“

, von  Geoffrey Besnier, übersetzt von Johanna Varanasi

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Sylvie Goulard: “Ich unterstütze Macron und seine Vision für Europa“
Macron bei einer Veranstaltung 2014, noch als Minister für Wirtschaft und Digitales der Hollande-Regierung © OFFICIAL LEWEB PHOTOS / Flickr/ CC 2.0-Lizenz

Die französische Europaabgeordnete Sylvie Goulard (ADLE) und Unterstützerin Emmanuel Macrons hat sich den Fragen der Redaktion von LeTaurillon zu Macrons proeuropäischen Programm und seiner „En Marche“-Bewegung gestellt.

Treffpunkt Europa: Sie waren eine der ersten in Ihrer Partei, der Mouvement Démocrate, die Emmanuel Macron unterstützt hat. Sie waren sogar eher dran als ihr Vorsitzender, François Bayrou. Warum diese Unterstützung?

Sylvie Goulard: Also zunächst können Frauen natürlich selber nachdenken (lacht). Aber im Ernst: Ich unterstütze Macrons Vision von Europa und seine Idee der internationalen Öffnung schon seit letzten Frühjahr, weil die Zukunft Frankreichs stark mit der Neuausrichtung des europäischen Projektes zusammenhängt und davon beeinflusst werden wird, wie stark sich Frankreich in Europa engagieren wird.

Jugendpolitik

Emmanuel Macron spricht sich dafür aus, das Förderprogramm ERASMUS auszuweiten, vor allem sollen mehr Auszubildende ins EU-Ausland gehen. Allerdings können Azubis bereits jetzt über Erasmus einen Auslandsaufenthalt finanzieren. Was ist neu an seinen Plänen?

S.G : Es geht darum, das Förderprogramm einer heterogeneren Gruppe zugänglich zu machen. Die aktuellen Erasmus-Studierenden sind immer noch eine recht homogene Gruppe. Das Programm sollte sich stärker an Berufsschüler und Auszubildende richten. Wir erfinden das Rad natürlich nicht neu, im Programmbereich von Erasmus+ ist bereits vieles möglich (ehemals das Programm Leonardo). Wir wollen das Programm erweitern und vergrößern. Wir planen, mit den Stellen, die für weiterführende Schulen und Ausbildung zuständig sind, zusammenarbeiten, um die Mobilität der jungen Leute zu fördern. In meinem Wahlkreis habe ich bereits positive Rückmeldungen von Berufsschulen erhalten. In der Zielgruppe der Berufsschüler und Azubis gibt es noch höhere Sprachbarrieren als bei den Studierenden. Natürlich ist es einfacher, einen jungen Menschen, der bereits viel gereist ist und gute Sprachkenntnisse mitbringt, für einen Auslandsaufenthalt zu motivieren, als einen jungen Menschen, der diese Erfahrungen bisher noch nicht gemacht hat. Oder anders gesagt: wenn wir diejenigen, die bisher tendenziell eher zuhause geblieben sind, mobiler machen, dann erledigt sich die Sprachbarriere vielleicht auch von selbst. Natürlich soll nicht nur in Paris oder Brüssel entschieden werden, was gut für die jungen Leute ist. Wir brauchen die Schulleitungen, die Lehrer und die jungen Leute selbst im Boot, um regionale Projekte aufzubauen.

Vom Europäischen Freiwilligendienst war bisher noch nicht die Rede. Wäre dieser nicht ebenso ein Anknüpfungspunkt?

S.G : Ja, auf jeden Fall. Aber bei der französischen Präsidentschaftswahl geht es nicht darum, bereits alle Details auszuarbeiten. Der französische Präsident kann einen Kurs festlegen: die Mobilität junger Leute zu fördern. Für die Umsetzung müssen unterschiedliche Initiativen ergriffen werden und zwar jeweils zur gegebenen Zeit.

Institutionen

Eine der zentralen Vorschläge von Emmanuel Macron ist die Einrichtung von Bürgerversammlungen, die die Leitlinien der Europäischen Union festlegen sollen. Was heute die Aufgabe des Europäischen Rates, also der Staats- und Regierungschefs ist, soll in Zukunft in den Händen der Bürger liegen?

S.G : Diese Treffen sollen in allen Teilen der EU stattfinden und zwar immer mit einer transnationalen Dimension. An den französischen Treffen sollen also auch Bürger anderer EU-Staaten teilnehmen. Es geht darum, die Bürger zu einer Debatte über Europa einzuladen. Es soll nicht unbedingt ein neuer EU-Vertrag dabei herauskommen, aber im Gespräch untereinander können die Bürger Fragen stellen, Ideen entwickeln und Vorschläge einbringen. Die transnationale Vermischung ist dabei besonders wichtig, denn wenn wieder nur abgeschottete Debatten pro Land geführt werden und jeder in seinem Land sitzen bleibt, dann verstärken wir nur Vorurteile wie „dies oder jenes ist Deutschlands Schuld“ oder „daran sind die Südeuropäer Schuld“ und so weiter. Wir wollen diese Vorurteile überwinden. Die Bürger haben so die Möglichkeit, ihren Platz und ihre Rolle in Europa zu sehen und sich dieser bewusst zu werden. Wie gesagt, es geht nicht um den neuen großen Wurf oder darum, die Arbeit der EU-Institutionen zu übernehmen. Vielmehr sollen den Bürgern die Institutionen näher gebracht werden, es soll um zwischenmenschliche Kontakte gehen, darum, auch mal links und rechts zu schauen, wie es bei den Nachbarn gemacht wird. Was bewegt die Menschen? Welches sind die zündenden Themen? Ist es die Umwelt? Oder die Digitalisierung? Wir brauchen ein offeneres Ohr für die Stimme der Bevölkerung. Denn diese hat auf jeden Fall etwas zu sagen, das spüre ich wenn ich vor Ort unterwegs bin.

Macron macht deutlich, dass die Bürger bei der französischen Wahl nicht nur den französischen Präsidenten wählen sondern auch Frankreichs Stimme im Europäischen Rat. Er ist damit einer der ersten, der diesen Zusammenhang zwischen nationaler und europäischer Politik so deutlich herausstellt. Warum ist es so wichtig, darauf hinzuweisen?

S.G : Emmanuel Macron hat verstanden, das eine grundlegende Änderung der Wahrnehmung, wie die nationale und die europäischen Ebene zusammenhängen, nötig ist. Für ihn ist klar, dass der französische Präsident auch eine europäische Rolle innehat. Das bedeutet aber auch, dass der französische Präsident auch Rechenschaft darüber schuldig ist, was er oder sie auf europäischer Ebene mitentscheidet. Die Details sind noch nicht festgelegt, es wäre aber z.B. denkbar, dass der Präsident der französischen Legislative über die Ereignisse im Europäischen Rat berichtet oder sich im Vorfeld der Sitzungen mit ihr abstimmt. Von Seiten der Legislative sind ebenso Anstrengungen nötig: das haben wir bei den Diskussionen um CETA gesehen. Es ist wirklich erschreckend, dass die nationalen und regionalen Parlamente erst ganz zum Schluss aufwachen obwohl sie doch eigentlich die nationale (regionale) Regierung kontrollieren sollen. Es sind die Wirtschaftsminister der Mitgliedstaaten, die der EU-Kommission das Verhandlungsmandat übertragen und die Verhandlungen begleitet haben. Hätten die Parlamente ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive genutzt, hätte sie den nationalen Regierungen schon im Vorfeld ihr Misstrauen äußern können, die dieses wiederum auf europäischer Ebene geäußert hätten. Das muss allerdings während der Verhandlungen geschehen. Die Kritik nach Abschluss des gesamten Prozesses über mehrere Jahre kommt etwas spät: so nimmt man seinen eigentlichen Verhandlungspartner in Geiselhaft.

Wirtschaft

Emmanuel Macron fordert, ein Budget für die Eurozone aufzustellen und dieses von einer eigenen Regierung kontrollieren zu lassen. Wie soll diese Regierung der Eurozone aussehen?

S.G  : Wir schlagen keine eigene Regierung für die Eurozone, sondern die Berufung eines Finanzministers vor. Wir müssen in kleinen Schritten vorangehen. Aktuell ist niemand konkret für die Eurozone zuständig. Zwei EU-Kommissare teilen sich die entsprechenden Kompetenzen. Außerdem gibt es noch den Präsidenten der Eurogruppe, der wiederum von keiner europäischen Behörde kontrolliert wird. Eigentlich geht es auch nicht um institutionelle Änderungen. Wir wollen die bisherigen Praktiken ändern: es steht überhaupt nichts im Wege, einen Präsidenten der Eurogruppe zu ernennen, der gleichzeitig Mitglied der Europäischen Kommission ist. Diese Person muss allerdings eine größere Verantwortlichkeit gegenüber des Europäischen Parlamentes akzeptieren, oder besser noch: ein Parlament der Eurozone wählt diese Person. Auch hier könnte es eine Vorgehensweise geben, die etwas zielführender ist. Aktuell gibt es lediglich einen informellen mit der Europäischen Zentralbank. Mario Draghi und sein Vorgänger Jean-Claude Trichet sind alle drei Monate ins Europäische Parlament gekommen, eine Verfahrensweise, auf die man sich verständigt hat. Es ist also überhaupt nicht nötig, große institutionelle Baustellen aufzutun. Verbesserungen können wir auch durch kleine Anpassungen erreichen.

Wo soll das Geld für das Budget der Eurozone herkommen? Wer zahlt?

S.G : Wenn wir das Vertrauen innerhalb der EU nicht wiederherstellen, dann wird es auch kein Budget für die Eurozone geben. Deutschland (und Nordeuropa) wird in keinen gemeinsamen Topf einzahlen, wenn sich Frankreich vor Verpflichtungen drückt oder die Italiener ihr Problem mit den Banken nicht regeln. Solidarität funktioniert nur, wenn alle ernsthaft mitmachen. Das zunächst vorweg. Im Mittelpunkt müsste ein gemeinsames steuerähnliches System stehen, durch dessen Einnahmen gemeinsame Maßnahmen ergriffen werden können. Dieses Budget könnte zukunftsweisende Investitionen, Mobilitätshilfen oder sogar konjunkturelle Schwankungen stabilisieren. Die Details im Einzelnen sind zu diesem Zeitpunkt dabei zunächst weniger wichtig als die grundsätzliche Ausrichtung. Keinesfalls sollen bisherige Schulden umverteilt werden. Aber wir wollen in Zukunft stärker zusammenarbeiten.

In seinem Buch Revolution skizziert Emmanuel Macron einen Investitionsplan, der weitreichender ist, als Junckers Investitionsoffensive. Macrons Plan beinhaltet neben Investitionen in erneuerbare Energien, Bildung und Digitales auch Subventionen. EU-Förderprogramme wie Europa 2020 oder Connecting Europe Facilities (CEF) bieten allerdings bereist Subventionen dieser Art. Was ist daran nun neu?

S.G : Wir sollten nicht nur auf die Neuheit der Vorschläge schauen, sondern uns auch darauf konzentrieren, die bestehenden Maßnahmen bekannter zu machen und zielgerichteter einzusetzen. Besonders in Frankreich wird oft nicht wahrgenommen, welche Projekte finanziell von der EU unterstützt werden. Die Menschen bekommen also überhaupt nicht mit, in welchen Bereichen die EU für sie investiert. Gerade der Juncker-Plan ist außerhalb der Fachkreise ziemlich unbekannt. Neben der finanziellen Ausstattung der EU-Förderprogramme stellt sich auch die Frage nach deren Bezeichnung. Vielleicht sollten wir die Vielzahl der Programme zusammenfassen, sie kohärenter gestalten. Somit würden auch die Inhalte und der Effekt der Förderung deutlicher sichtbar. Ein Investitionsplan sollte extrem zielgerichtet und zeitlich befristet sein. Außerdem ist es wichtig, die Prioritäten klar abzustecken. Darauf sollten wir uns besinnen. Wenn es um die konkrete inhaltliche Gestaltung geht, sollten wir eng mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten. Der Juncker-Plan hat ja schon einiges geleistet, auch was die Wahrnehmung solcher Programme angeht. Vor 2014 war die Förderung von Investitionen als Antwort auf die Krise wenig verankert.

Umwelt

Ein Schwerpunkt dieses Plans sind Investitionen im Umweltbereich. Wie schaffen wir es, eine gemeinsame europäische Umweltpolitik effizienter zu gestalten?

S.G  : Sicher ist, dass wir den Klimawandel weiter eindämmen müssen. Auch in der Bevölkerung existiert ein breiter Konsens darüber. Das zeigt auch der Film Demain von Mélanie Laurent. Sie können so viele Klimaabkommen abschließen, wie Sie wollen. Wenn die Maßnahmen vor Ort nicht ausgeführt werden – Mülltrennung, Änderung unserer Mobilitätsgewohnheiten – dann verpuffen alle Anstrengungen und wir erreichen nichts. Der Klimawandel muss auf mehreren Ebenen bekämpft werden: die Politiker müssen Initiativen beschließen, die Bürger müssen ihre Lebensweise und ihre Mentalität ändern.

Aber was genau kann die EU erreichen? Die bisher einschlägigste Initiative ist der Handel mit Emissionszertifikaten: ein Marktplatz für Luftverschmutzung, der von Betrug durchzogen ist und so gut wie keine Verringerung der Treibhausgasemissionen hervorgebracht hat.

S.G  : Dieses System wird aktuell überarbeitet. Der EU-Parlamentspräsident hat sich erst kürzlich dazu geäußert. Jeder sieht, dass es hier Probleme gibt. Eine Energiewende ist ebenso eine Priorität des nationalen Investitionsplans von Emmanuel Macron. Die Investitionen zielen dabei nicht nur auf Maßnahmen im Umweltbereich sondern haben auch eine soziale Komponente. So soll z.B. in die Wärmedämmung von Sozialwohnungen investiert werden. Umwelt- und Klimafragen treten jetzt, nach der Wahl von Donald Trump, als große Herausforderungen in den Vordergrund. Europa hat daher jetzt die Chance, sich zu beweisen.

Sind die Umwelt- und Klimafragen inzwischen nicht zu einer diplomatischen Herausforderung geworden und weniger ein innenpolitisches Problem? Die EU ist immerhin nur für 11% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich mit fallender Tendenz.

S.G : Jeder muss seinen Teil beitragen, wie auf dem Klimagipfel in Paris beschlossen. Alle müssen sich daran halten. Aber Sie haben Recht, die Europäer werden in der Zukunft nicht die großen Klimasünder sein. Aber auch wir haben zum hohen Kohlenstoffausstoß beigetragen. Und unser Lebensstil sowie der Lebensstil der Amerikaner, bleibt immer noch klimaschädigend, vor allem im Vergleich zu den Schwellenländern.

Wie können wir weitere Länder motivieren, ihre Emissionen zu reduzieren? Unterstützen Sie beispielsweise die Idee, eine Steuer für Importprodukte, die einen großen Kohlenstoff-Fußabdruck aufweisen, zu erheben?

S.G : Man kann französische Politik nicht einfach auf ganz Europa übertragen. Einige meiner Kolleg*innen im Europäischen Parlament reagieren extrem zurückhaltend auf den Vorschlag, Importe aus nicht EU-Ländern zu besteuern. Aber der Vorschlag ist noch nicht vom Tisch, wie der kürzlich vorgestellte Monti-Bericht zur künftigen Finanzierung der EU gezeigt hat. Dort taucht auch dieser Vorschlag wieder auf.

Informationstechnologie

Ein weiteres Zukunftsthema – in Macron Programm taucht immer wieder als Motor für Wachstum und Arbeitsplätze auf. Auf europäischer Ebene wird aktuell ein Digitaler Binnenmarkt und z.B. die Einrichtung eines europäischen Google ohne nationale Grenzen diskutiert. Wie positionieren Sie sich in dieser Debatte?

S.G : Wir sind fest davon überzeugt, dass ein digitaler Binnenmarkt, der mehr als 500 Millionen Konsumenten und Unternehmen, die digital vernetzt sind umfasst, ökonomische Vorteile bringt. Auf französischer Ebene wird es keine Gesetze für die digitale Welt geben, diese werden auf europäischer Ebene gemacht. In jedem Fall handelt es sich hier um ein grundsätzlich europäisches und nicht um ein rein französisches Thema.

Sollte die Freiheit der Daten als 5. Grundfreiheit der EU eingeführt werden? Die estnische Regierung hat dies bereits vorgeschlagen.

S.G : Der Datenschutz, die Datenübermittlung und der Zugang zu Daten sind essentielle Themen. Sollte eine 5. Freiheit, eine Datenfreiheit eingeführt werden? Bisher haben wir hierzu keine Position. Es reicht allerdings nicht, einfach eine 5. Freiheit einzuführen, sie muss auch mit Leben gefüllt werden. Und es muss sichergestellt werden, dass sie die richtige Antwort auf aktuelle Herausforderungen gibt. Wir sollten nicht nur Politik der schönen Worte machen, der dann keine Taten folgen - wie es häufig der Fall ist auf EU-Ebene. Wir sollten zunächst mit den Netzprovidern und den Telekommunikationsgesellschaften zusammenarbeiten, um die aktuellen Barrieren zu überwinden. Das Interview wurde am 24. Februar 2017 geführt.

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