Gemeinsam mit Japan im Norden und den Philippinen im Süden bildet Taiwan eine Inselkette vor der Küste Chinas. Auch sonst wird Taiwan selten genannt, ohne auf die Volksrepublik China, von Taiwaner*innen nur „Festland-China“ genannt, hinzuweisen. Für einige ist nämlich Taiwan, das sich offiziell auch Republik China nennt, eine abtrünnige, chinesische Provinz, für andere hingegen das einzig wahre China und für wieder andere ein de-facto-Staat, für dessen Unabhängigkeit es Zeit wird.
Im Gegensatz zu der Volksrepublik ist Taiwan demokratisch. Im November 2018 wählten die Bürger*innen zahlreiche Offizielle von Dorfvorsteher*innen bis Bürgermeister*innen. Die Wahlen können als eine Art taiwanische Midterms verstanden werden. Vor allem geben sie Auskunft darüber, wie sich das Meinungsbild seit den letzten nationalen Wahlen vor zwei Jahren verändert hat. Damals gelang es der dem China auf dem Festland offener gegenüber stehenden Kuomintang nicht, die Mehrheit zu erreichen, sodass die eine langfristige Unabhängigkeit Taiwans unterstützende Demokratische Fortschrittspartei, kurz DPP, seitdem regiert. Ein klarer Wahlsieg bestätigte der 2016 noch unterlegenen Kuomintang in diesem Jahr jedoch ihr Aufholen gegenüber der Regierungspartei.
Von der chinesischen Staatspartei zur Demokratisierung
Demonstrationen gehören an diesen Tagen zum Straßenbild der Hauptstadt Taipeh dazu, umschließen aber meist nur wenige Menschen mit vereinzelten Plakaten. Auf dem Dach von kleinen Lastern sind Lautsprecher angebracht, die die Botschaften der Demonstrant*innen verkünden. Sie fahren langsam, aber unermüdlich auf die Passant*innen einredend durch die Straßen. Hier und da halten sie an und die Fahrer*innen gesellen sich zu einer Gruppe Demonstrant*innen, bevor sie ihre Fahrt fortsetzen.
In seiner Vergangenheit erlebte Taiwan verschiedene Kolonialherren: zuerst die Niederlande, dann Spanien, schließlich Japan. Als letzteres im Zweiten Weltkrieg kapitulierte, ging Taiwan an China. Zwei Jahre später erlitt die Kuomintang auf dem chinesischen Festland eine Niederlage gegen Mao Zedong. Die Kuomintang und ihre Anhänger*innen flohen daraufhin unter Chiang Kai-shek auf die taiwanische Insel. Es folgten Jahrzehnte unter eine Einheitspartei, in denen die 1949 vom Festland Geflohenen sich gegenüber der weiteren Bevölkerung auch gewalttätig als Elite etablierten, aber zugleich enormes Wirtschaftswachstum für die gesamte Insel generieren konnten.
Bis 1979 konnte die Regierung aus Taipeh den Sitz Chinas bei den Vereinten Nationen halten, dann verlor sie ihn an die Volksrepublik. Reformen waren überfällig und wurden umgesetzt: Die Gründung neuer politischer Parteien wurde erlaubt, die bis heute stärkste Oppositionspartei, die DPP, gegründet und das gesamte politische System einer Demokratisierung unterzogen. Seit 1992 wird das taiwanische Parlament durch Wahlen bestimmt und im Jahr 2000 verlor die Kuomintang erstmals die Mehrheit an die DPP.
Die sogenannte pan-blaue Koalition, der auch die Kuomintang angehört, forderte ursprünglich eine chinesische Wiedervereinigung, neigt angesichts der Veränderungen in der Volksrepublik jedoch zunehmend dazu, eine solche an die Kondition zu knüpfen, dass das kommunistische Regime kollabieren und die Volksrepublik demokratisch werden müsse. Sie versteht Taiwan weiter als einzig wahre chinesische Regierung, während die pan-grüne Koalition inklusive der DPP eine taiwanische Unabhängigkeit bevorzugt. Oftmals wird sie aber aus von dem Konflikt unabhängigen Gründen gewählt: Auch die ihr zugeschriebene Farbe wird nicht zwingend mit einer möglichen Unabhängigkeit assoziiert, sondern wurde wegen ihrer Zugehörigkeit zur Anti-Atomkraft-Bewegung gewählt.
Stagnation: Ein Schritt zurück zu China
Alles, das in Taiwan innenpolitisch passiert, lässt sich jedoch direkt oder indirekt als Reaktion auf China interpretieren. Die Niederlage der DPP auch in diesem Jahr als eine solche zu deuten, greift gleichzeitig zu kurz. War es bislang die DPP, die ihren Wahlsieg nicht zuletzt der Unzufriedenheit mit der Kuomintang zu verdanken hatte, beginnt sich das Blatt nun zu wenden. Der taiwanischen Wirtschaft geht es zunehmend schlechter, zahlreiche Graduierte ziehen für den Berufseinstieg in andere Länder und die DPP konnte die gerade von jungen Wähler*innen geforderte Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehe letztendlich nicht durchbringen.
Zugleich rächen sich Stimmen, die eine baldige Unabhängigkeit fordern, mit diesem Wahlergebnis für ein nicht allzu konsequentes Vorgehen der DPP gegenüber der Regierung in Peking. Auch hat Taiwan seine wirtschaftlichen Sorgen nicht zuletzt der Bemühungen jenes Chinas auf dem Festland zu verdanken, Taiwan außenpolitisch zu isolieren: Wer diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufnehmen möchte, muss der Ein-China-Politik folgen und darf damit Taiwan nicht als Republik China anerkennen. Selbst die USA, die für Taiwan weitgehend als Schutzmacht fungieren, haben keine Botschaft in Taipeh.
Die im Vergleich zum Wahlergebnis von 2016 wieder anwachsende Beliebtheit der Kuomintang kann als Schritt Taiwans in Richtung China gelesen werden, nachdem die DPP-Regierung in den ersten beiden Jahren ihrer Amtszeit versucht hat, sich in ihren Entscheidungen von Peking zu lösen. Sollte es der Regierung nicht gelingen, bis zu den nächsten nationalen Wahlen Erfolge aufzuzeigen, ist ein Sieg der Kuomintang zu erwarten - und damit ein weiterer Schritt weg von einer möglichen Unabhängigkeitserklärung und zurück zu harmonischeren Beziehungen zum Festland. Dass der Konflikt weiterhin stagniert, ist wahrscheinlich, sollte die Kuomintang bis 2020 mehr Wähler*innen als vor zwei Jahren mobilisieren können.
Wandel: Es brodelt unter der Oberfläche
Politik ist kein Thema, über das in Taiwan mit Fremden beim ersten, gemeinsamen Abendessen gesprochen wird. Zu gespalten sind die Meinungen. Zu frustriert ist die Bevölkerung zugleich mit der Politik: Letztere wird kaum als Ausdruck der öffentlichen Meinung gewertet. Dass es bei Wahlen um mehr geht, als nur immer wieder und doch nur selten anders als zuvor auf das Handeln der Volksrepublik zu antworten, gerät damit in Vergessenheit, obwohl die Entstehung, aber auch das fortlaufende Bestehen der taiwanischen Demokratie bemerkenswert sind.
Die Lösung, die die taiwanische Regierung dafür bisher gefunden hat, ist, den Status quo beizubehalten. Die fehlende internationale Anerkennung schmerzt, aber die Mehrheit der Taiwaner*innen ist weder dafür, die Volksrepublik mit einer taiwanischen Unabhängigkeitserklärung zu provozieren, noch ähnlich wie Hong Kong und Macau zu der Volksrepublik angehörigen, sogenannten Sonderverwaltungszonen zu werden. Beide Optionen sind zu risikoreich.
Und doch brodelt es unter der Oberfläche. Der Regierung in Taipeh gelingt es, mit zahlreichen Stipendien und einem hohen, für Bildung bestimmten Budget Studierende aus aller Welt anzuziehen und den Austausch zu fördern. Die Deutsche Welle hat gerade erst ein ostasiatisches Büro gegründet - in Taipeh. Sie gibt zwar an, nicht zwingend über Taiwan, aber vor allem von Taipeh aus über die Volksrepublik China berichten zu wollen, wurde aber u.a. durch mangelnde Pressefreiheit auf dem Festland dazu gezwungen, Alternativen zu suchen, und hat eine solche in Taiwan gefunden. Taiwan ist von praktischem Nutzen für die Außenwelt, aber noch zu schwach, um dafür deren Beistand einzufordern.
Auch außerhalb des Inselstaats möchte kaum jemand China provozieren. Fair ist es dennoch kaum, einen Staat, dem eine rapide Demokratisierung aus dem eigenen Inneren heraus sowie das fortwährende Verteidigen einer lebendigen Demokratie gelungen sind, nicht in letzterem zu unterstützen. Ob auch ein Wandel in der China-Frage allein aus dem Inneren Taiwans kommen kann, ist jedoch fraglich. Obwohl das Wahlergebnis vorerst in Richtung Stagnation deutet, ist es in der internationalen Politik selten einfach, den Status quo zu halten.
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