Am 29.September werden die österreichischen Wähler*innen die 183 Mitglieder des Nationalrats wählen. Der Nationalrat ist neben dem Bundesrat eine der zwei Kammern des österreichischen Parlaments und fungiert als eine der zwei gesetzgebenden Gewalten des Landes. Die direkt gewählten Mitglieder des Nationalrats sind neben der Verabschiedung von Gesetzen auch für das billigen von internationalen Verträgen zuständig und sprechen der Regierung mit einer absoluten Mehrheit ihr Vertrauen zu.
Worauf solltest du bei der Wahl achten?
Die Wahl des Nationalrats erfolgt nur fünf Monate nach der Europawahl, bei der sich die Freiheitliche Partei (FPÖ), die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialdemokraten ein enges Rennen lieferten. Die FPÖ ging als Sieger hervor und erwies sich dabei als verlässlicher rechtsextremer Partner für Viktor Orbáns Fidesz-Partei. Sie trug zur Bildung der Fraktion „Patrioten für Europa“ mit sechs Abgeordneten im Europäischen Parlament bei.
Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament in Österreich. Quelle: Darstellung von Pogány Marcell
Die FPÖ, die derzeit in den Umfragen bei etwa 28 % liegt, wird voraussichtlich auch diese Wahl gewinnen. Dieser Rechtsruck könnte für das Land jedoch erhebliche negative Folgen haben. Die zentrale Botschaft der FPÖ ist der Kampf gegen Einwanderung und das Schüren von Hass gegen Geflüchtete und People of Color. Diese Themen scheinen ein großes Mobilisierungspotenzial zu besitzen. Ihre euroskeptische und prorussische Haltung würde der ohnehin schon fragilen Position der EU in Bezug auf die Ukraine und die Demokratie weiteren Schaden zufügen, insbesondere angesichts der Vergangenheit des ungarischen FPÖ-Partners Fidesz, der wiederholt Erklärungen und Beschlüsse mit seinem Veto im Rat blockiert hat.
Die Grafiken veranschaulichen die voraussichtlichen Ergebnisse der österreichischen Parlamentswahlen. Die Ergebnisse wurden durch Mittelwertbildung mehrerer Wahlprognosen ermittelt. Quelle: Darstellung von Pogány Marcell
Koalitions ‘Hungerspiele‘
Falls die regierende ÖVP (Mitte-rechts) sich dem „Cordon sanitaire“ der anderen Parteien anschließt, könnte die FPÖ jedoch trotz Wahlsieg Schwierigkeiten haben, eine Regierung zu bilden. Dennoch herrscht unter der österreichischen Jugend Skepsis. Mehrere Stimmen aus der liberalen, pro-europäischen NEOS-Partei argumentieren, dass eine FPÖ-ÖVP-Koalition bereits im Entstehen ist, was die EU-Zusammenarbeit ernsthaft untergraben und zu einem weiteren demokratischen Rückschritt führen würde.
Es scheint, als ob die ÖVP, die Partei vom Bundeskanzler Nehammer, bei der Bildung einer Koalitionsregierung schwer zu umgehen sein wird. Die aufstrebenden Sozialdemokraten, die eine Steuerreform anstreben und sich auf Fragen der Lebenshaltungskosten konzentrieren, scheinen zusammen mit den NEOS und den österreichischen Grünen nicht stark genug zu sein, um eine Mehrheit zu erreichen. Letztendlich wird also Nehammer entscheiden, wer Teil der neuen Regierung wird.
Die Klimathemen der Grünen sowie der föderale Ansatz der NEOS hat bisher keine Ergebnisse gebracht- aber die jüngere Wähler*innenschaft, die sich gegen eine rechtsgerichtete Regierung mobilisiert hat, könnte ihnen den notwendigen Schub verleihen.
Ein Wahlkampf über Ebbe und Flut?
Lob für... keine Desinformation? Zu unserer Überraschung und basierend auf unseren Recherchen blieb die österreichische Öffentlichkeit weitgehend von groß angelegten, professionell organisierten Desinformationskampagnen verschont. Das mag aber auch an den ungarischen Erfahrungen der Autor*innen liegen, dass mit mehr gefälschten Plakatkampagnen und Verleumdungen gerechnet wurde. Es freut uns jedoch festzustellen, dass die europäische Demokratie noch nicht vollständig verloren hat.
Der einzige Vorfall, der uns stutzen ließ, war die Kampagne einer NGO, die überraschenderweise mit den Grünen in Verbindung steht. In „Daumen hoch“-Infografiken stellt die NGO die Haltung der Parteien zu bestimmten Politikbereichen dar. Doch anstatt die Grünen als die einzige Wahl darzustellen, neigen sie dazu, alle Parteien außer FPÖ und ÖVP zu bevorzugen und die Realität zu verzerren um Wähler*innen von diesen Parteien abzubringen.
Wahlcheck #Landwirtschaft & Klimakrise: 10 Schritte für eine Landwirtschaft mit Zukunft - Welche Partei geht wie weit? Wir haben gemeinsam mit Bioverband Erde & Saat, @ObvVia und @BirdLifeAustria nachgefragt! Alle Antworten gibts hier: https://t.co/Bx0hoRPfI5 pic.twitter.com/KPkskDAN4i
— GLOBAL 2000 (@global2000) September 18, 2024
Ein abgesagtes Konzert bestimmt die Wahlkampfthemen?
Migration war zweifellos eines der Hauptthemen des Wahlkampfes. Die jüngsten gewalttätigen Ereignisse und die zunehmende Angst in der Gesellschaft nach dem vereitelten Terroranschlag bei einem Taylor-Swift-Konzert in Wien beherrschten den politischen Diskurs. Parteien, die für stärkere Grenzschutzmaßnahmen eintreten, konnten während des Wahlkampfs leicht an Unterstützung gewinnen, während ein progressiverer Ansatz für die Opposition leicht zum Verlust von Stimmen führte.
Es wurde beobachtet, dass die Österreicher*innen im Allgemeinen für offene Grenzen sind – es sei denn, Deutschland will illegale Einwanderer*innen nach Österreich zurückschicken oder sie kommen über Tschechien, Slowenien oder Ungarn. Sind sie also wirklich für offene Grenzen, oder ist es eher eine prätentiöse Haltung, die in der Wahlkabine verpufft?
Die Zeiten ändern sich, die politischen Prioritäten auch?
Die jüngsten Überschwemmungen in Mitteleuropa heimgesucht haben, haben auch in Österreich schwere Schäden angerichtet. Doch das Hochwasser hat neben den traditionellen Notfallmaßnahmen und Schuldzuweisungen über nicht durchgeführten Katastrophenschutz auch das politische Klima verändert, wodurch die rechtsextremen Wahlkampfbotschaften an Wirkung verloren haben. Der Fokus scheint sich von Migration auf das Katastrophenmanagement zu verlagern, wo sich die derzeitige Regierungspartei ÖVP als starke Führungskraft darstellen kann, die das Land und seine Bürger*innen schützt.
Die Überschwemmungen könnten auch den Grünen unerwartete Vorteile bringen, da Klimathemen wieder an Bedeutung gewinnen, während sich die Menschen der Folgen einer Vernachlässigung der Klimakrise stärker bewusst werden. Wir bleiben jedoch skeptisch, ob sich dieses zurück gewonnene Bewusstsein für die Klimakrise auch in den Wahlergebnissse widerspiegeln, da die Trends der letzten Jahre den Grünen nicht zugutekommen. Themen, wie Sicherheit, Wohnungsnot und Lebenshaltungskosten haben für die Wähler*innen zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Blick nach vorn
Die Wahlen in Österreich mögen in diesem turbulenten Jahr nicht die wichtigsten sein. Ein möglicher Regierungswechsel nach rechts könnte jedoch insbesondere mit Blick auf die europäische Einheit und demokratische Standards von erheblicher Bedeutung sein.
Klimakatastrophen, Migration, Lebenshaltungskosten und außenpolitische Entwicklungen bleiben für die Wähler*innen zentrale Themen. Und die Hinwendung der Wähler*innen zu extremen Positionen stellt die traditionellen Parteien vor schwierige Entscheidungen.
Seit den Europawahlen ist Österreich im Wahlkampfmodus geblieben. Im November bzw. März stehen Landtags- und Kommunalwahlen an, die die Tür für mögliche Neuorientierungen der Parteien nach Verlusten, wechselnde Koalitionen und Partner offenlassen.
Während sich Europa an diesem Sonntag nach Wien wendet, beobachten Politiker*innen und in der gesamten Europäischen Union genau, wie ihre Freund*innen und Gegner*innen auf die Entwicklung der Koalitionsverhandlungen bestimmen werden.
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