Gespräch mit Felix Manuel Müller

US-Wahlen: Brauchen wir ein eigenständigeres Europa?

, von  Benedikt Putz

US-Wahlen: Brauchen wir ein eigenständigeres Europa?
Felix Manuel Müller hofft auf ein selbstbewussteres Handeln der EU Bild: Erstellt mit Canva Pro

Im Interview mit Felix Manuel Müller, Referent für Europapolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, geht es um die bevorstehenden US-Wahlen und ihre Bedeutung für Europa. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Entwicklungen in den USA eine eigenständigere europäische Außenpolitik erfordern. Ein spannender Einblick in die transatlantischen Beziehungen aus der Sicht eines Europapolitik-Experten.

Felix Manuel Müller ist Referent für Europapolitik in der Abteilung „Demokratie, Recht und Parteien“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zudem arbeitet Felix an seiner Dissertation im Bereich Regierungsforschung zum Politikmanagement von Bundesministern an der NRW School of Governance (Universität Duisburg-Essen). Dort absolvierte Felix auch den Masterstudiengang Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung. Praktische Erfahrung sammelte Felix unter anderem bei der PR-Agentur Ketchum Pleon, im Bayerischen Landtag, bei Europe Direct, der Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik der Stadt Duisburg sowie in der Kontakt- und Informationsstelle des Bayerischen Landtags in Brüssel. Seit diesem Jahr ist er Vorstandsmitglied der Europäischen Bewegung Deutschland.

Benedikt Putz ist Co-Chefredakteur von treffpunkteuropa.de

Benedikt: Lieber Felix, wie ist aktuell die Stimmung in der Europapolitik-Bubble? Haben viele Angst vor dem Ausgang der US-Wahlen oder blickt man gelassen nach Washington?

Felix: Der Wahlkampf in den USA wird in Europa mit großer Spannung verfolgt. Das merke ich auch in meiner täglichen Arbeit. Ein aktuelles Beispiel ist die jährlich stattfindende Europa-Rede der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die 2024 die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft und ihre Bedeutung für die EU-Außenpolitik thematisiert. Wenige Tage nach der US-Wahl haben wir David McAllister, Dr. Emily Haber und Prof. Carlo Masala in Berlin zu Gast. Die Veranstaltung war innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Die Nachfrage ist enorm – wir könnten das Allianz-Forum am Brandenburger Tor problemlos doppelt belegen.

Das große Interesse führe ich zum einen darauf zurück, dass das Rennen um das Weiße Haus diesmal extrem eng ist. In den entscheidenden Swing States liefern sich Kamala Harris und Donald Trump ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Umfragewerte liegen innerhalb der Fehlermarge.

Auf der anderen Seite blickt man aus europäischer Sicht mit Sorge nach Amerika. Trumps „America First“-Politik stellt immer wieder die Bedeutung traditioneller Allianzen und internationaler Institutionen infrage. Sollte er am Ende gewinnen, könnte das beispielsweise negative Auswirkungen auf die gemeinsame Haltung gegenüber Russland haben oder zu einer Schwächung der NATO führen. Trump hat offen angekündigt, dass er die US-Truppenpräsenz in Europa verringern und den Austausch von Geheimdienstinformationen mit NATO-Verbündeten einschränken will.

Allerdings habe ich auch Zweifel, dass eine Präsidentin Kamala Harris die EU-USA- Beziehungen zu neuer Blüte führen wird. Obwohl sie die Bedeutung der transatlantischen Zusammenarbeit betont, spricht einiges dafür, dass sie aufgrund von innenpolitischem Druck auch die „Pivot to Asia“-Strategie weiterführen wird. Diese wurde auf Betreiben von Hillary Clinton unter der Obama-Administration initiiert und beinhaltet eine Verlagerung der US-amerikanischen geopolitischen Prioritäten in den indo-pazifischen Raum.

Benedikt: Wie abhängig ist die EU von den USA?

Felix: Die USA spielen eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheitspolitik, vor allem durch ihre Führungsrolle in der NATO. Ohne die Unterstützung der USA ist unsere Sicherheit auf absehbare Zeit kaum zu gewährleisten. Zur Einordnung: Die Verteidigungsausgaben der USA sind fast zehnmal so hoch wie die Deutschlands und decken rund zwei Drittel jener innerhalb der NATO ab. Aktuell sind rund 85.000 ihrer Soldaten in Europa stationiert. Außerdem profitieren wir enorm vom nuklearen Schutzschirm, den die Amerikaner über uns aufspannen.

Darüber hinaus sind sie unser größter Handelspartner. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind äußerst eng. Allerdings würde ich hier nicht von einer einseitigen, sondern von einer wechselseitigen Abhängigkeit sprechen. Aus diesem Grund hätte ein transatlantischer Handelskrieg massive Konsequenzen für beide Seiten und muss verhindert werden. Trump hat angedroht, dass er die Zölle für US-Einfuhren deutlich anheben möchte. Für die amerikanischen Verbraucher hätte das steigende Preise und höhere Lebenshaltungskosten zur Folge. Gleichzeitig würde es die exportorientierte Wirtschaft in Europa schwächen. Insbesondere die deutsche Automobil- und Maschinenbaubranche wäre davon stark betroffen.

Benedikt: Können wir uns weiterhin auf die USA als Partner verlassen?

Felix: Stand jetzt sehe ich in keinem der Kandidaten einen enthusiastischen Transatlantiker. Das unterscheidet sie beispielsweise von Präsident Joe Biden, dessen Haltung bei seinem Staatsbesuch in Berlin nochmals deutlich wurde. Zukünftig werden die USA ihr Handeln noch stärker daran ausrichten, was in ihrem nationalen Interesse ist. Deshalb müssen wir die Frage schon auch andersherum stellen: Wie stellen wir sicher, dass wir in Washington als zuverlässiger Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden?

Da muss man selbstkritisch feststellen, dass wir in manchen Bereichen hinter unseren Zusagen zurückgeblieben sind. Ein prominentes Beispiel ist die NATO-Verpflichtung, zwei Prozent des BIP für Verteidigung aufzuwenden, um die anhaltende militärische Bereitschaft des Bündnisses zu gewährleisten. Selbst nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gibt es immer noch neun Mitgliedstaaten, die das Ziel 2024 nicht erreichen. Sie gehören fast ausschließlich der EU an.

Europa muss eigenständiger und selbstbewusster werden. Dann bleiben wir ein attraktiver Partner, an dem die USA weiterhin großes Interesse haben wird.

Benedikt: Wie sollte sich Europa in Zukunft im Konflikt zwischen den USA und China positionieren?

Felix: Europa muss seine Verteidigungsfähigkeit konsequent stärken und mehr Verantwortung für die Sicherheit des eigenen Kontinents übernehmen. Dazu ist es notwendig, die Ausgaben in diesem Bereich langfristig über die anvisierten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und sie fest in den Staatshaushalten zu verankern.

Gleichzeitig sollten wir den Amerikanern unsere sicherheitspolitischen Fortschritte und den beiderseitigen Nutzen der NATO offensiv kommunizieren. Schließlich profitieren auch die USA von der Zusammenarbeit. Das betrifft nicht nur den Bereich Sicherheit. Auch aus wirtschaftlicher Sicht hat das amerikanische Engagement für sie positive Effekte. Es ist davon auszugehen, dass die Handelsverluste, die durch einen Rückzug der USA langfristig entstehen könnten, die möglichen Einsparungen bei Verteidigungsressourcen übersteigen.

Wir dürfen nicht vergessen: Die EU ist nach wie vor eine Weltwirtschaftsmacht. Auch wenn das brutale Vorgehen Russlands gegen die Ukraine den Blick darauf verstellt, wird das Kräftemessen der Großmächte nicht vorrangig mit militärischen, sondern kommerziellen und industriepolitischen Mitteln ausgetragen. Der ökonomische Bereich wird deshalb sicherheitspolitisch immer relevanter. Es wird wesentlich darauf ankommen, das wirtschaftliche Gewicht der EU noch stärker einzusetzen als bisher, um die eigenen Werte und auch Interessen zu verteidigen und so ein attraktiver Partner zu bleiben.

Benedikt: Tut Deutschland genug für Europa?

Felix: Deutschland stemmt ungefähr ein Viertel des gesamten EU-Haushalts, ist der größte Beitragszahler und damit eine wichtige Stütze des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der Union. Die europäischen Partner erwarten aber nicht nur einen finanziellen Beitrag, sondern dass das bevölkerungsreichste Land auch politisch eine Führungsrolle einnimmt.

Diesem Anspruch werden wir aktuell aus meiner Sicht nicht gerecht. In Brüssel ist viel vom „German Vote“ die Rede. Dahinter verbirgt sich Kritik an der Unberechenbarkeit der deutschen Bundesregierung bei EU-Abstimmungen. In letzter Minute werden bereits ausgehandelte Kompromisse blockiert oder man enthält sich, weil sich die Koalitionspartner in Berlin uneinig sind. Auf diese Weise wird die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene erheblich erschwert.

Benedikt: Welche Zukunft wünschst du dir für die transatlantischen Beziehungen nach dem 20. Januar 2025, dem Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten oder der neuen Präsidentin?

Felix: Mein Wunsch ist, dass die neue Präsidentin oder der neue Präsident die Bedeutung der transatlantischen Allianz erkennt und das Bündnis stark bleibt. Dafür müssen sich aber beide Seiten einsetzen.

Wir stehen stark unter dem Eindruck der isolationistischen Aussagen Trumps. Aber Ansätze einer Absetzbewegung gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Gerade bei den pro-palästinensischen Demonstrationen wurde ein ausgeprägter und unreflektierter Antiamerikanismus sichtbar.

Die Partnerschaft mit den USA ist nicht nur eine Versicherung gegen militärische Bedrohungen, sondern auch ein Garant für gemeinsame Werte, wirtschaftliche Stabilität und globale Handlungsfähigkeit. Die großen geopolitischen Herausforderungen lassen sich aus meiner Sicht nur im Verbund lösen.

Um die stabile und regelbasierte Weltordnung gegen Autokratien und systemische Rivalen zu verteidigen, muss die EU geschlossener und selbstbewusster agieren und das Bündnis mit den USA verlässlich bleiben.

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