Doch wie kommt es eigentlich zu diesen Abstimmungen? Wer legt den Gesetzesentwurf vor? Wie funktioniert das Abstimmungsverfahren im EU-Parlament und was wird daran kritisiert?
Abstimmungen im EU-Parlament
Während der monatlichen Plenartagung des EU-Parlaments steht ein volles Programm auf der Agenda: zahlreiche Debatten und Diskussionen, die bis spät in die Nacht andauern können. Das ist für die MEPs harte Arbeit - über jede einzelne Änderung, über jeden Bericht muss separat abgestimmt werden. Der Grünen-Politiker Erik Marquardt teilte auf Instagram ein Video, wie diese Abstimmungen normalerweise aussehen:
Für die Abstimmung ist grundsätzlich Anwesenheit im EU-Parlament erforderlich. Rechtlich ist das EU-Parlament beschlussfähig, wenn mindestens ein Drittel seiner aktuell 705 Mitglieder anwesend sind. Die meisten Abstimmungen werden via Handzeichen durchgeführt. Die jeweiligen Berichterstatter*innen der Parteien zeigen dafür während der Abstimmung einen Daumen nach oben oder nach unten, um den restlichen Parteimitgliedern eine Wahlempfehlung für oder gegen den jeweiligen Abstimmungspunkt zu geben.
Was ist ein*e Berichterstatter*in?
Ein*e Berichterstatter*in im EU-Parlament ist die zuständige Person im EU-Parlament für einen Bericht bzw. Gesetzestext. Er*sie begleitet den Prozess der Korrektur und ist für den abschließenden Text zuständig, über den während der Plenartagung abgestimmt wird. Meistens besitzt der*die Berichterstatter*in vertiefte Expertise in dem jeweiligen Thema.
Sollte die Parlamentspräsidentin bzw. der*die Vize-Präsident*in Zweifel an der Deutlichkeit des Ergebnisses haben, kann er*sie auch eine elektronische Wahl anordnen und die Abstimmung wiederholen. Für die elektronische Abstimmung müssen die Abgeordneten ihre blaue, nicht übertragbare Chipkarte in das Abstimmungsgerät einführen. Durch einfaches Drücken der Knöpfe links (= dafür), mitte (= enthalten) oder rechts (= dagegen) treffen die Abgeordneten eine Wahl, bis der*die Präsident*in die Wahl schließt. Danach wird das Ergebnis auf den Bildschirmen bekanntgegeben.
Bei einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren wird das beschlossene Gesetz dann vom EU-Parlament an den Rat weitergegeben, welcher anschließend auch nochmal über den Gesetzesentwurf abstimmt.
Vom Entwurf zur Abstimmung
Um den Weg eines Gesetzesentwurfs nachverfolgen zu können, sehen wir uns den Weg des Gesetzesvorschlags für nachhaltigere Flugkraftstoffe näher an. Im Juli legte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf zu nachhaltigen Kraftstoffen im Flugverkehr vor. Dieser Entwurf wurde dann an den Ausschuss für Transport und Tourismus (TRAN) überwiesen. Zusätzlich müssen noch weitere Ausschüsse, in diesem Fall der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) sowie der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE), einbezogen werden. Die Verantwortlichen im TRAN-Ausschuss erstellen darauf basierend einen Berichtsentwurf mit Änderungsvorschlägen am Entwurf der Kommission und stimmen darüber im Ausschuss ab. Sobald dieser abgesegnet ist, wird der Bericht mit dem Gesetzentwurf sowie den Änderungen im Parlament zur Wahl gestellt.
Pandemie im Parlament
Während der COVID-19 Pandemie konnten auch die Abgeordneten des EU-Parlaments nicht mehr reisen und mussten - wie viele andere in Europa - im Home Office arbeiten. Das Wahlsystem, welches vorher physische Anwesenheit erforderte, wurde mit Hilfe von technischen Mitteln auf eine Remote-Abstimmung umgestellt. Die MEPs befanden sich in ihren Heimatländern und konnten von dort aus sogenannte “remote-Interventionen” vornehmen. So konnte trotz der Pandemie weiterhin debattiert und abgestimmt werden. Seit Mitte dieses Jahres müssen sich jedoch alle MEPs wieder regelmäßig in Straßburg oder Brüssel einfinden.
Kritik
Wie für viele in der Berufswelt hatte die Pandemie auch ihre Vorteile: weniger Zeit beim Pendel verschwenden, ab und an bequem aus dem Home Office oder komplett remote arbeiten und dadurch vielleicht sogar produktiver sein. Als der damalige Präsident des EU-Parlaments Sassoli im November 2021 ankündigte, wieder Präsenzwochen abzuhalten, kam scharfe Kritik von MEPs vieler Parteien. Nicht nur, dass eine Plenarwoche in Präsenz das Infektionsrisiko der MEPs unnötig erhöhen würde. Viele argumentierten, dass hybrides Arbeiten generell günstiger und vor allem klimafreundlicher wäre. Die Entscheidung von Sassoli wurde angesichts steigender Inzidenzen und eben jener Kritik der Abgeordneten kurz nach der Bekanntmachung wieder zurückgezogen.
Und auch jetzt gibt es kritische Stimmen, wie die des Grünen-Abgeordneten Erik Marquardt. Er kritisiert die Anzahl der Abstimmungen und die Dichte der aufeinanderfolgenden Wahlen. Wie er in seinem Post schreibt: “Ich finde, dass ein Großteil der Abstimmungen digital stattfinden sollte, damit man sich besser mit den Entscheidungen beschäftigen kann”.
Gemeinsam für Europa
Auf der anderen Seite gibt es einige Aspekte, die für die Präsenz in Straßburg bzw. Brüssel sprechen: Neben den langen Sitzungstagen gibt es für die Abgeordneten sowie Angestellten im EU-Parlament so die Möglichkeit, sich persönlich zu treffen und auszutauschen. Das ermöglicht die Vernetzung über die eigene Partei und Ausschüsse hinaus und stärkt gleichzeitig das gemeinsame Ziel: die Europäische Union kontinuierlich zu verbessern.
Präsenz-Modus bis zum Herbst?
Seit Mitte des Jahres hat das EU-Parlament seine Arbeit im kompletten Präsenz-Modus wieder aufgenommen. Seit die Corona-Maßnahmen in fast allen EU-Ländern aufgehoben oder erleichtert wurden, treffen sich die MEPs nun wieder regelmäßig vor Ort in Straßburg. Die Diskussion um Remote-Abstimmungen ist abgeflaut. Abzuwarten bleiben nun die Entwicklungen der Pandemie im Herbst und wie das EU-Parlament darauf reagieren wird.
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