Bundestagswahl 2021

Von der Couch aus wählen – Die Briefwahl unter der Lupe

, von  Yeganeh Orouji

Von der Couch aus wählen – Die Briefwahl unter der Lupe
Foto: Pixabay / planet_fox / Copyright notice Pixabay Lizenz Beim Ausfüllen der Briefwahl fallen die verschiedenfarbigen Zettel und Umschläge ins Auge.

Die Briefwahl ist eine altbekannte Möglichkeit, seine Stimme abzugeben. War sie in den letzten Jahren mehr eine Frage der Bequemlichkeit, kann ihr Anteil bei der kommenden Bundestagswahl am 26. September merklich steigen. Doch welche gesetzlichen Regelungen liegen dieser Wahlmöglichkeit zugrunde und können wir auch in Zukunft verstärkt von einer Briefwahl ausgehen?

November vergangenen Jahres. Wahltag in den USA, Millionen von Amerikaner*innen sind aufgerufen, einen neuen US-Präsidenten und US-Kongress zu wählen. Schon am 3. November dem Wahltag ist klar, dass das Ergebnis noch nicht feststeht. Denn mehr als 100 Millionen US-Bürger*innen stimmten bis zum 2. November mit dem sogenannten early voting, also der postalischen Stimmabgabe, ab. Erst vier Tage später, nachdem die zahlreichen Briefwahlunterlagen ausgezählt wurden, stand der Sieger der Wahl fest. Die Erleichterung stand den Demokrat*innen ins Gesicht geschrieben: Dank der Stimmen aus der Briefwahl konnte sich der demokratische Herausforderer Joe Biden durchsetzen.

Die anhaltende Corona-Pandemie beeinflusste die Wahl in den Vereinigten Staaten und setzte auch neue Themen im Wahlkampf. Aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung entschied sich eine große Bevölkerungsmehrheit für eine vorzeitige Stimmabgabe per Briefwahl. Der damalige amtierende US-Präsident Donald Trump hingegen gilt als starker Gegner der Briefwahl. In mehreren Aussagen vor der US-Wahl kritisiert er die Briefwahl und unterstellt den Behörden einen systematischen Betrug. Sein Kredo ist so simpel wie unverständlich: Die Briefwahl sei mit Wahlbetrug gleichzusetzen; man könne ihr nicht trauen; die Stimmen werden absichtlich manipuliert. Laut Trump sei die Briefwahl besonders unsicher und fälschungsanfällig. Mit diesen Aussagen schürt er das Misstrauen in der eigenen Bevölkerung.

Die Wähler*innen in den USA sahen demnach in der Briefwahl einen bereits bekannten Weg, ihre Stimme abzugeben, ohne sich den Gefahren einer möglichen Ansteckung auszusetzen. Wird sich Briefwahl also in diesen außergewöhnlichen Zeiten im Gegensatz zum herkömmlichen Gang zur Wahlurne durchsetzen? Und wie sieht es in Deutschland, im so entscheidenden Superwahljahr 2021, aus?

Kurze Geschichte der Briefwahl in Deutschland

Allgemein ausgedrückt stellt die Briefwahl die Möglichkeit dar, statt dem Gang zur Wahlurne seine Stimme per Brief abzugeben. Das Ziel der Briefwahl ist es, dass alle Wähler*innen die Möglichkeit haben, auch bei Verhinderung am Wahltag wählen zu gehen. In Deutschland wurde die Briefwahl bei der Bundestagswahl 1957 eingeführt, um die Allgemeinheit der Wahl sicherzustellen. Die Allgemeinheit der Wahl stellt eine der fünf Wahlrechtsgrundsätze der deutschen Demokratie dar und bedeutet vereinfacht ausgedrückt die gleiche Fähigkeit aller Deutschen, zu wählen und gewählt zu werden. Das Ziel sei es, die Teilnahme an der Wahl für alle zu erleichtern.

Seitdem ist der Anteil der Briefwahlnutzer*innen kontinuierlich gestiegen. Lag der Anteil der Briefwähler*innen bei der Einführung 1957 bei 4,9%, stieg sie bei der nächsten Bundestagswahl um 0,9% auf 5,8%. Bei den Bundestagswahlen 1965 und 1969 fiel sie jedoch von 7,3% auf 7,1% zurück. Ein stärkerer Rückgang lässt sich bei den Wahlen von 1987 und 1990 erkennen: Lag der Anteil derer, die die Briefwahl 1987 bevorzugten, bei 11,1%, fiel der Anteil auf 9,4% im Jahr der Wiedervereinigung 1990. Dennoch legen die Zahlen eines offen: Ab 1998 steigt die Zahl der Briefwähler*innen immer weiter an. Von 16% auf 18%, dann 18,7%, 21,4% und 2013 lag sie bereits bei 24,3%. Bei den letzten Wahlen zum 19. Bundestag stieg der Briefwahlanteil, dem Trend folgend, auf genau 28,6%. Die Zahlen lassen darauf schließen, dass die Alternative zum Urnengang mehr und mehr Nutzen und Gefallen in der Bevölkerung findet.

Die Frage liegt nahe, ob sich dieser Aufwärtstrend auch bei der kommenden Bundestagswahl zeigen wird. Kann man daher schon eine Prognose für 2021 aufgeben? Aufgrund der Pandemie erwartet der Bundeswahlleiter Georg Thiel, ähnlich wie in den USA, mehr Briefwähler als sonst. Um sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, sind gewisse Maßnahmen nötig. Es spricht für sich, dass man, um den Zustrom von Briefwahlunterlagen bewältigen zu können, mehr Wahlhelfer benötigt. Der Bundeswahlleiter sagte im Februar, dass sie ebenfalls deutlich mehr Briefwahlbezirke benötigten. Zwar zieht es ein erkennbarer Teil der Bevölkerung vor, per Brief zu wählen, die andere Hälfte wird voraussichtlich dennoch den Gang zur Urne bevorzugen. So werden beispielsweise Wahllokale geprüft, um sicher zu stellen, dass der Mindestabstand gewährleistet werden kann. Schlüsselpositionen von Wahlhelfern sollen doppelt besetzt werden, um im Falle einer Infektion sofort einspringen zu können. Andere, einfachere Maßnahmen sehen vor, dass jede*r Wähler*in einen eigenen Stift mitnehmen muss.

Gesetzliche Regelungen und Durchführung

Die Briefwahl ist durch das Bundeswahlgesetz und die Bundesverordnung geregelt. Das Problem besteht darin, dass bei der Nutzung der Briefwahl nicht immer gewährleistet sein kann, dass die Wähler*innen ihre Stimme unbeeinflusst abgeben. Damit wäre der Grundsatz der geheimen Wahl nicht gesichert. Aus diesem Grund gab es eine Regelung, die vorgab, den Antrag auf Briefwahl begründen. Diese entsprechende Regelung wurde 2008 allerdings aufgehoben. Im Endeffekt zogen immer mehr Bürger*innen diese vereinfachte Option in Betracht.

Die Durchführung der Briefwahl geht grundsätzlich einfach vonstatten. Wahlberechtigte Bürger*innen müssen die Unterlagen bei der Gemeinde ihres Erstwohnsitzes beantragen. Sobald die Wahlbenachrichtigung eingetroffen ist, kann man auf unkompliziertem Weg die Briefwahl anfordern, das dazugehörige Formular ist der Wahlbenachrichtigung beigelegt. Der Bundeswahlleiter empfiehlt, die Briefwahl möglichst früh zu stellen, da die Unterlagen am Wahlsonntag bis 18 Uhr vorliegen müssen.

Briefwahl in der US-Wahl 2021

Wohl kein anderes Thema hat die US-Wahl so begleitet wie die Briefwahl. Die Briefwahl selbst, eigentlich kein neuer Weg, wurde doch vom damaligen amtierenden US-Präsidenten stark instrumentalisiert. In den Monaten vor der Wahl wetterte Donald Trump vehement gegen die Briefwahl, verurteilte sie als ,,unsicher“. So schrieb er zum Beispiel im November 2021 auf Twitter: We are up BIG, but they are trying to STEAL the Election. We will never let them do it. (…). Jeder US-Bundesstaat hat seine eigenen Regeln was die Briefwahl angeht. Grundsätzlich finden sich zwei Arten wieder. Entweder die Wahlzettel kommen automatisch an die Wähler*innen oder sie müssen ihre Stimmzettel selbstständig beantragen. Die Verantwortlichen in Texas haben das Prozedere in diesem Jahr nicht vereinfacht. Man muss einen Grund angeben, warum man per Briefwahl wählen will; Sorge vor einer Ansteckung zählt hierbei nicht als Grund. Doch es wird noch komplizierter: Zeugen müssen die Briefwahlumschläge korrekt unterschreiben. Durch diese strikte Regelung kam es in der Vergangenheit schon öfter vor, dass einzelne Stimmen nicht dazugezählt wurden. Interessant ist, dass im US-Bundesstaat Oregon seit 2004 ausschließlich die Briefwahl zugelassen ist. Andere US-Bundesstaaten, wie etwa Colorado, Hawaii, Utah und Washington halten ihre Wahlen fast ausschließlich per Briefwahl ab. Die Frage liegt nahe, ob bestimmte Parteien die Briefwahl als eine unsichere Methode abstempeln, um von den eigenen Misserfolgen abzulenken. Besonders bei Donald Trump wurde ihm die Briefwahl zum Verhängnis. Zu Anfangs verteufelte er diese Methode, denn ihm und seinen Anhängern war bewusst, dass sich die republikanische Seite nicht auf die Briefwahl verlassen konnte und mit ihr mehrheitlich Stimmen der Demokraten eingehen. In Deutschland ist ein ähnliches Phänomen mit der AfD zu beobachten. Ausgetragen wurde diese ,,Legende vom Wahlbetrug“ im Landtag von Sachsen-Anhalt zu Beginn des Jahres. Der Landtag beschloss zu der Zeit, die Briefwahl zu verstärken, wenn eine persönliche Stimmenabgabe aus medizinischen Gründen nicht möglich sei. Die Antwort der AfD kam prompt. Robert Farle, Abgeordneter für den Wahlkreis Saalekreis, behauptete, die Briefwahl werde nur eingesetzt, um einen großen Wahlbetrug durchzuführen.

Bedeutet eine Briefwahl gleich Wahlbetrug? Die Vor- und Nachteile erklärt

Trotz den geringen bis nicht vorhandenen Auffälligkeiten von Wahlbetrug in den letzten Jahren musste sich die Briefwahl oft den Vorwurf anhören, sie sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Dabei wird ihr vorgeworfen, diese Art des Wählens sei besonders manipulierbar. Jedoch gibt es keine Beweise und weder starke Belege dafür, dass die Briefwahl unsicherer ist. Man muss berücksichtigen, dass auch nur die wahlberechtigten Personen einen Wahlschein bekommen, und diese können dann nur einmal wählen. Die Wahlhelfer prüfen die Einhaltung dieser Gesetzesregelung eingehend.

Die Gründe für den Vorwurf, die Briefwahl sei unsicher, ist einerseits die Möglichkeit des Wählers, die Stimmzettel im Beisein einer anderen Person auszufüllen. Die Wahlen zum Bundestag sollten allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Kritiker der Briefwahl argumentieren, dass dies nicht immer garantiert sei. Die Regelung der Briefwahl sei demnach verfassungsrechtlich problematisch. Dennoch entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Briefwahl. Die Richter*innen heben hervor, dass die Vorteile der Briefwahl überwiegen, da sie das Ziel verfolgt, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Und diese Vorzüge sind vielseitig: Die Wähler*innen haben, anders als im Wahllokal, die Chance, sich Zeit zu lassen bei ihrer Auswahl. Doch genau dieser genannte Vorteil sehen die Gegner*innen der Briefwahl kritisch an. Ihr Gegenargument lautet, dass wenn die Entscheidung noch vor dem eigentlichen Wahltermin erfolgt, man keine Möglichkeit hat, auf neue Ereignisse im Wahlkampf zu reagieren. Fakt ist, bei der Briefwahl bleibt ein gewisses Restrisiko, weil die Wähler*innen die Stimmzettel nicht persönlich ausfüllen. Einzelfälle von Wahlbetrug kommen dabei vor, jedoch konnten die Behörden keine strukturellen Auffälligkeiten feststellen.

Ausblick auf die Zukunft

Die Verantwortlichen haben die Briefwahl zunächst als Ausnahme konzipiert, um Menschen, die krank oder arbeiten gehen müssen, eine Chance darzubieten, rechtzeitig ihre Stimme abzugeben. Doch seitdem hat sich dieses Bild gewandelt und besonders seit der Abschaffung der Nennung eines Grundes für die Briefwahl im Jahr 2008 fanden immer mehr Bürger*innen Gefallen an dieser Methode. Die SZ schrieb 2017 kurz vor der Bundestagswahl sogar von einer ,,Bequemlichkeitswahl“. Doch auch wenn man an dem Wahlsonntag ausschlafen will, oder, wie es die SZ ausdrückt, es ,,bequem“ haben will, was spricht dagegen? Die Tendenz zeigt klar nach oben und in Zukunft wird sich die Briefwahl wohl stärker durchsetzen. Der Bundeswahlleiter Georg Thiel sagte im Februar 2021 in einem Interview zum Tagesspiegel, dass der Gang zur Urne zuerst gewollt ist, die Briefwahl aber eben auch als zweite Möglichkeit zugelassen ist. Letztendlich muss es jede*r selber entscheiden, welcher Weg der geeignetste ist.

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