Liebe Frau Merkel,
seit dem Neujahrestag gibt es wohl kaum ein Thema, das ganz Deutschland, und seit einigen Tagen auch Europa, in hitzigere Debatten verwickelt als die Attacken auf Frauen in der Silvesternacht in mehreren deutschen Großstädten. Die Übergriffe lassen mich nicht nur erschauern, sondern stimmen mich nachdenklich. Auch wenn bisher unklar ist, wer die Täter sind, so reicht deren Beschreibung als „nordafrikanisch und arabisch aussehende Männer“ für viele Teile der Bevölkerung aus, um die Vorfälle zur Flüchtlingsthematik zu deklarieren. Sexuelle Gewalt ausschließlich zu einer Sache der Hautfarbe, Kultur und Nation zu erklären, liefert den Nährboden für Pegida und Co. und verschweigt das eigentliche Problem. Sollte der eigentlichen Frage nach den Tätern, liebe Frau Merkel, nicht eher die Frage nach dem Zustandekommen der Taten vorausgehen?
Mit zunehmender Entfernung zum eigentlichen Orten des Geschehens scheint sich das Wissen darüber zu verlieren, was tatsächlich vorgefallen ist. Der hierzulande noch angemessene Ton der Debatte verflüchtigt sich mit Blick auf Europa. Die Leitmedien Europas stellen überraschende Bezüge her. Es wird mit Ängsten gespielt, die in Europa wegen des Zuzugs so vieler Flüchtlinge brodeln. Zudem liefern voreilige Schlüsse denjenigen Mitgliedsstaaten in der EU mutmaßlich neue Begründungen, die sich den gemeinsamen Regelungen wie dem Quotensystem zu entziehen suchen.
Deshalb sollte es in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein, zwischen den Kölner Tätern und denjenigen, die vermeintlich so aussehen, zu unterscheiden. Das ist einer der sensibelsten Berührungspunkte in der aktuellen Debatte, der nur eine Armlänge zwischen Differenzierung und Verharmlosung beträgt. Die Toleranz in einer pluralistischen Gesellschaft findet ihr Ende in der Missachtung ihrer Prinzipien und Werte. So auch in Deutschland. Auf eine umfassende Debatte sollte die Verurteilung der Täter nach voller Strafhärte erfolgen. Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, liebe Frau Merkel. Genauso unerlässlich ist es Stereotypen, Klischees und Vorurteile ab- anstatt aufzubauen. Sie vergiften eine pluralistische Gesellschaft und sollten in einer europäischen Wertegemeinschaft nichts zu suchen haben. Dafür sollten wir auch in schwierigen Zeiten einstehen. Und zwar gemeinsam und geschlossen.
Es grüßt Sie herzlich,
Ivana Peric
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