Wahl 2019 – (fast) alles anders – Teil 1

, von  Daniel Belling

Wahl 2019 – (fast) alles anders – Teil 1
Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg © Andrew Ross / Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Das Parlament mit seinen direkt gewählten Abgeordneten muss die entscheidende Instanz europaweiter Politik sein.

Vor kurzem wurde in der italienischen Hauptstadt der sechzigste Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert. Doch obwohl sich regelmäßig eine Mehrheit der Europäischen Bevölkerung für mehr Europa ausspricht und das Projekt Europa begrüßt, wird das institutionelle System der EU nach wie vor als wenig demokratisch empfunden.

War die Europäische Union bis jetzt geprägt von einer Entwicklung hin zu mehr Europa mit lediglich kleineren Korrekturen und manchen Zugeständnissen, so sind die tektonischen Verschiebungen des letzten Jahres eine ernsthafte Herausforderung für den Staatenbund und die europäische Demokratie.

In Zukunft wird es daher mehr denn je darauf ankommen, das Europäische Parlament als Herzkammer der europäischen Demokratie zu stärken. Die Botschaft: Nicht Brüsseler Bürokratie, sondern das Parlament mit seinen direkt gewählten Abgeordneten ist Kern europaweiter Politik.

Europawahlen sind dabei das entscheidende Mittel, mit dem Parteien und Parteifamilien den etwa 400 Millionen wahlberechtigten EU Bürgern ihr Politikangebot unterbreiten und ihre Ansichten über die Intensität und Richtung europäischer Integration zur Wahl stellen können. Doch das europäische parlamentarische System zeichnet sich durch mitunter große Unterschiede zu den nationalen politischen Systemen aus. Im Rahmen weit gefasster Reformen des institutionellen Gefüges der EU wird auch das Parlament zum Subjekt von Neuerungen.

Es lohnt sich daher schon heute, mögliche Veränderungen für die Wahl in zwei Jahren zu betrachten, die vor allem durch das Ausscheiden Großbritanniens erforderlich werden.

Kleiner, gleicher, anpassbar

Bereits dieses Jahr wird das Parlament über die Einführung einer Regel für die Zuteilung von Mandaten auf Mitgliedsstaaten beraten (siehe dazu: Ausschusses für Verfassungsfragen, AFCO). Bislang wurde die Zahl der Abgeordneten vor jeder Wahl neu ausgehandelt, wobei sowohl neue Mitgliedsstaaten (Kroatien vor der letzten Wahl) als auch die Stärke der Staaten im Rat als Parameter herangezogen wurden. Das Ziel der neuen Regel ist es, die Zuteilung durch eine mathematische Formel, anpassbar an Veränderungen in der Bevölkerungszahl, dauerhaft festzulegen und so wiederkehrende politische Kraftproben zwischen Mitgliedsstaaten zu vermeiden.

Der Vertrag von Lissabon sieht vor, dass die Mandate degressiv-proportional, d.h. mit stärkerer Gewichtung für Länder mit geringer Einwohnerzahl, auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Dabei erhält der kleinste Staat 6 (Malta) und der Bevölkerungsreichste 96 Mandate (Deutschland). Die konkrete Verteilung ist jedoch nicht festgeschrieben und es ist ebenso möglich, dass das Parlament weniger als 751 Abgeordnete hat.

Die momentan favorisierte Formel wurde von Mathematikern aus Cambridge entwickelt und an die Bedürfnisse des Europäischen Parlaments angepasst. Geht es nach diesen Modellen profitieren von einer Neuzuteilung insbesondere Bevölkerungsreiche Staaten, die nicht bereits das Maximum an Mandaten erreicht haben (insbesondere Frankreich, Italien und Polen). Darüber hinaus sind mit dem Ausscheiden der Britischen Abgeordneten 73 Mandate neu zu vergeben.

Was sich bereits vermuten lässt ist, dass das nächste gewählte Europäische Parlament kleiner sein als das Derzeitige, denn einige Mandate sollen für Abgeordnete zukünftiger neuer Mitgliedsstaaten vakant gehalten werden. Um allerdings zu gewährleisten, dass kein Staat durch die Anwendung der neuen Zuteilungsregel Mandate verliert, wird das Parlament sehr wahrscheinlich nicht einfach um 73 Abgeordnete geschmälert. Das Modell, dass wohl am ehesten von den derzeitigen Abgeordneten gewählt wird berücksichtigt dementsprechend eine Parlamentsgröße von 723 Mandaten.

Die relative Stärke der Mitgliedsstaaten in Europäischen Parlament würde sich zugunsten der größeren Staaten verändern, wobei Deutschland bereits das Maximum an Mandaten erreicht hat. Demnach würde Deutschland lediglich von einem kleineren Parlament profitieren. Politisch könnte diese Verschiebung allerdings Konsequenzen haben, da der Kampf um die politische Vorherrschaft in Frankreich, Italien und Spanien weitaus belebter ist als in der Bundesrepublik. Das fällt insbesondere beim Blick auf die möglicherweise begünstigten Fraktionen im Europäischen Parlament auf.

In einem ähnlichen Rechenmodell haben Kalcik und Wolff unter der Annahme, dass die letzte Europawahl 2014 unter dem neuen Verteilungsmodell und ohne die Briten durchgeführt wurde, die Effekte für die Fraktionen im Europaparlament aufgezeigt. Brexit selbst hat die stärksten Auswirkungen auf die Fraktion der Konservativen und Reformisten (ECR), denen die Tories von Bord gehen, und die EFDD-Fraktion, die ohne UKIP im Wesentlichen aus der italienischen 5-Sterne-Bewegung existieren würde und vermutlich um einen Fraktionsstatus zu kämpfen hätte. Von einem Zuwachs an Mandaten in Frankreich würde der rechtsextreme Front National und dessen EFN-Fraktion profitieren, ebenso wäre die linke GUE/NGL-Fraktion von mehr spanischen PODEMOS-Abgeordneten bevorteilt. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EPP) könnte ebenso durch mehr französische (Les Républicains) und Polnische (Bürgerplattform PO) Mandatsträger zulegen.

Wenngleich mit der neuen Zuteilungsregel der politischen Schacherei zwischen Mitgliedsstaaten entgegengewirkt werden soll, wird die Wahl eines Modells noch immer eine (partei-)politische Dimension haben. Insbesondere die beiden großen Parteifamilien dürften ein Interesse haben, ihre jeweiligen Hochburgen zu schützen – Deutschland und Frankreich für die Konservativen, Italien für die Sozialisten.

Langfristig verspricht die dauerhafte Regelung der Zuteilung allerdings, mit Transparenz und Fairness für einen Ausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten zu sorgen. Es ist ein weiterer Schritt zu einer dauerhaften Verankerung der Struktur des Europäische Parlaments und verhindert wiederkehrende, von nationalstaatlichem Denken geprägte Debatten um grundlegende Prinzipien parlamentarischer Demokratie. Weitere Reformen die zu einer Stärkung der internen Struktur des Parlaments führen werden, sind heute bereits abzusehen.

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