Next Generation EU

Was bleibt nach einem Jahr Wiederaufbauplan der Kommission?

, von  Sarah Diehl

Was bleibt nach einem Jahr Wiederaufbauplan der Kommission?
Das 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaupaket gilt als Maßnahme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19 Pandemie. Foto: unsplash/Maryna Yazbeck/Lizenz

Das Wiederaufbauprogramm der Europäische Kommission, das im Mai vergangenen Jahres vorgestellt wurde, weckte bereits bei der Vorstellung große Hoffnungen. Auch wir haben damals in einem Artikel über den Plan und die möglichen Auswirkungen berichtet. Kritik blieb, insbesondere in Bezug auf das ‘Schuldenpooling’, nicht aus. Nach einem Jahr, das weiter im Zeichen der COVID-19 Pandemie steht, ist es an der Zeit, ein erstes Fazit zu Stärken und Schwächen des Plans, dem aktuellen Stand der Umsetzung und der weiteren Entwicklung zu ziehen. Eine kritische Analyse.

Der Wiederaufbauplan der EU-Kommission wurde bei seiner Einführung als zentrale Maßnahme zur Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-19 Pandemie angesehen. Zudem sollte er die EU im Bereich Klimaschutz und Digitalisierung zukunftsfähig machen. Durch die gemeinsame Aufnahme von Schulden durch die EU und die Einführung innovativer Eigenmittel zur Rückzahlung der Kredite, weckte der Plan gleichzeitig Hoffnungen auf die Weiterentwicklung hin zu einem föderalen Europa.

Der Aufbauplan als Weg aus der Krise und Schritt zu einem geeinten Europa?

Das 750 Milliarden Euro schwere, umfassende Wiederaufbaupaket wurde der Öffentlichkeit im Mai 2020 als Maßnahme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19 Pandemie vorgestellt. Das Programm soll von 2021 bis 2023 laufen. Kerninhalt ist die Unterstützung besonders durch die Pandemie betroffener Wirtschaftsbereiche. Besonders ist, dass die Gesamtsumme mittels der gemeinsamen Aufnahme von Schulden durch die EU-Mitgliedsländer finanziert werden soll. Mit den aus diesem Paket getätigten Ausgaben und Reformen sollen nicht nur kurzfristige Wirtschaftsimpulse gesetzt, sondern gleichzeitig prioritär Klimaschutz und Digitalisierung gefördert werden.

Parallel zum Wiederaufbauplan wurde auch der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum von 2021 bis 2027 verabschiedet, der ebenfalls mehr Mittel für Klimaschutz und Digitalisierung vorsieht. Insgesamt beläuft sich das Paket somit auf eine Rekordsumme von 1.824 Milliarden Euro. Auf die Vorstellung des Paktes folgten harte Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen auf der einen und den Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite. Fraglich ist also, was nach einem Jahr vom Plan der EU-Kommission bleibt.

Mehr Solidarität, Fokus auf gemeinsame Werte und Zukunftsthemen als Stärken des Aufbauplans

Hervorzuheben ist zuerst, dass der Aufbauplan der EU-Kommission, der in erster Linie auf gemeinsamer Schuldenaufnahme beruht, ein Zeichen gesamteuropäischer Solidarität ist. Die solidarische Komponente wird dadurch verstärkt, dass ein Teil der Finanzhilfen, die in erster Linie schwächeren Ländern zu Gute kommen, nicht direkt rückgezahlt werden müssen. Dies ist bei einer Summe von insgesamt 390 Milliarden Euro, die als Zuschüsse ausgezahlt werden sollen, durchaus beachtlich. Die restlichen 360 Milliarden Euro fließen hingegen als Kredite an die Mitgliedsstaaten. Somit wird der Plan gewiss zu einer schnelleren Erholung nach der Krise beitragen. Diese gelebte Solidarität ist insbesondere in der aktuellen Krisensituation der Pandemie und in Zeiten, in denen oft die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU heraufbeschworen wird, von nicht zu unterschätzendem Wert.

Bemerkenswert ist auch, dass sich die Mitgliedsstaaten auf dem Gipfel des Rates im Dezember 2020 darauf einigen konnten, die Auszahlung von Mitteln aus dem Budget von der Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips abhängig zu machen. Dies ist insoweit beachtlich, als dass sich diese Maßnahme primär gegen Polen und Ungarn richtet, die seit Jahren erbittert Widerstand gegen solche Schritte leisten. Der Wiederaufbauplan stärkt also auch das gemeinsame Wertefundament der EU und reduziert damit möglicherweise die Fliehkräfte innerhalb der Union.



Der Aufbauplan der EU-Kommission ist ein Zeichen gesamteuropäischer Solidarität. Foto: https://www.canva.com/design/DAEc9ZHR6wA/9EtoR2eH-xiEyMQB16gV4w/edit


Eine weitere Stärke des Planes ist, dass die Mittel primär auch zur Erreichung von Kernzielen wie mehr Klimaschutz und einer Förderung der Digitalisierung eingesetzt werden soll. Die Mitgliedsstaaten müssen sich mit entsprechenden nationalen Aufbau- und Resilienzplänen bewerben, die die länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission berücksichtigen. Die Auszahlung wird an die Erfüllung von Etappenzielen gekoppelt. In beiden Fällen haben die meisten EU-Mitgliedsländer noch viel Nachholbedarf. Zum Beispiel, wenn die gesteckten Ziele, im Rahmen des Pariser Klimaabkommens, zur Senkung der CO2-Emissionen bis 2030 beziehungsweise 2050 eingehalten werden sollen. Die EU soll also Dank des Aufbauplans zukunftsfähiger werden und mehr als bisher zum Klimaschutz beitragen.

Zuletzt ist die innovative Finanzierung des Pakets hervorzuheben. Dazu soll die EU-Kommission, stellvertretend für die EU, am Kapitalmarkt entsprechende Kredite aufnehmen. Um die Rückzahlung ohne eine übermäßige Belastung der Mitgliedsstaaten durch einen zukünftigen Anstieg der nationalen EU-Beiträge sicherzustellen, einigten sich der Europäische Rat und das Parlament am 10.11.2020 auf die Einführung innovativer Eigenmittel. Diese werden seit dem 01.01.2021 ab durch eine Abgabe auf nicht recycelte Plastikabfälle erhoben und in Zukunft durch eine CO2-Ausgleichszahlung und eine Digitalsteuer ergänzt werden. Damit wurde eine jahrzehntelange Debatte über die Eigenmittel der EU beendet. Dies stellt ohne Zweifel einen wichtigen Schritt auf dem Weg in Richtung eines eigenstaatlichen, föderalen Europas dar.

Die Schwächen des Plans

Der Plan wurde jedoch auch bereits bei seiner Vorstellung kritisiert. Ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt ist die Unklarheit, ob die Mittel auf nationaler Ebene auch tatsächlich für die genannten Ziele, also Klimaschutz und Digitalisierung, eingesetzt werden. Aktuell deutet vieles darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten - insbesondere auch Deutschland - die im Rahmen der Pandemiebekämpfung ausgeschütteten Finanzmittel eher zur Aufrechterhaltung des Status quo einsetzen. Dadurch könnte zwar eine schnellere wirtschaftliche Erholung einsetzen, allerdings werden aktuell angesichts der hohen Summen die Weichen für die kommenden Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, gestellt. Zwar soll die Kommission den entsprechenden Einsatz von Mitteln durch die Aufbau- und Resilienzpläne überwachen, es ist jedoch fraglich, wie viel Handhabe sie hier tatsächlich hat, da eine entsprechende Prüfung nur auf Vorschlag anderer Mitgliedsstaaten erfolgt. Es fehlt folglich an einer strikteren Rückbindung der Finanzmittel an die Ziele, zum Beispiel im Wege anderer Programme, wie dem Green New Deal.

Zudem kann auch die Art und Weise, wie der Aufbauplan zustande kam, als problematisch angesehen werden, da er dem Vorgehen in der Eurokrise ähnelte. Der Plan der Kommission beruht auf einem Vorschlag der nationalen Regierungen von Frankreich und Deutschland und wurde letzten Endes mehr oder weniger gegen den Widerstand einiger anderer Mitgliedsstaaten durchgesetzt. Die Bevölkerung in den EU-Ländern wurde im Gegensatz dazu nur unzureichend beteiligt. Das ist in Anbetracht der Krisensituation zwar verständlich, aber im Hinblick auf die Legitimation der EU problematisch - insbesondere da in einigen Mitgliedsländern Sorgen vor einer ‘Schuldenunion durch die Hintertür’ bestehen. Ohne die Beteiligung der Europäischen Bürger*innen ist eine langfristige Vertiefung der europäischen Integration jedoch als unwahrscheinlich und, aus demokratischen Gesichtspunkten, auch als wenig wünschenswert anzusehen.

Konflikte bleiben bestehen

Als gewichtigstes Argument kann jedoch gelten, dass die Konfliktlinien innerhalb der EU bestehen bleiben und nur kurzfristig durch die Krise verdeckt und mit Finanzmitteln zugeschüttet werden. Diese verlaufen einerseits zwischen den Staaten, die eine vertiefter Wirtschafts- und Währungsunion anstreben, die auch die Vergemeinschaftung von Schulden vorsieht und diesen, die dies ablehnen. Auch wenn den sogenannten ‘Sparsamen Vier’, namentlich Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden nach zähen Verhandlungen in Anbetracht der Krisensituation eine Zustimmung zum Plan abgerungen werden konnte, bedeutet dies nicht, dass deren grundsätzliche Bedenken damit ausgeräumt wären. Es ist also nicht ausgemacht, dass sie nach Auslaufen des Wiederaufbauplans auch in Zukunft einer gemeinsamen Kreditaufnahme zustimmen würden. Die zweite Konfliktlinie verläuft zwischen den Staaten, die eine vertiefte Integration in unterschiedlichster Konstellation anstreben - allen voran Deutschland - und den Staaten, die auf ihrer nationalen Souveränität beharren. Hier sind zuvorderst Polen und Ungarn zu nennen, die dezidiert ihre eigenen Ordnungs- und Wertvorstellungen vertreten, wobei auch andere Staaten einer weiteren Abgabe von Souveränität skeptisch gegenüberstehen. Ein Kernproblem in diesem Zusammenhang bleibt, dass das langfristige Ziel des Integrationsprozesses bis heute nicht klar definiert ist, weshalb sich die EU nur von Krise zu Krise weiterentwickelt.

Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass im Rahmen des Aufbauplans zwar einerseits ein Weg gefunden wurde, zumindest mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie umzugehen. Andererseits konnten sich die Mitgliedstaaten trotz Bemühungen der Kommission bis heute nicht auf ein einheitliches Vorgehen, zum Beispiel in Bezug auf Reisebeschränkungen innerhalb des Schengen Raums, einigen. Stattdessen verhängten die Mitgliedsstaaten im Alleingang über Nacht Grenzkontrollen und/oder Einreisebeschränkungen, denen die EU-Institutionen nicht viel entgegenzusetzen hatten. Dies zeigt, dass die EU noch ein weiter Weg bevorsteht, bevor von einer ausreichenden Kooperation in solchen sehr relevanten Bereichen gesprochen werden kann.

Bilanz und Perspektiven

Welche Rolle spielt der Aufbauplan nun also für die zukünftige Entwicklung der EU? Abschließend lässt sich festhalten, dass der Wiederaufbauplan auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich hin zu mehr Solidarität und Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten, ist. Er verhindert die weitere wirtschaftliche Fragmentierung Europas. Zudem werden die gemeinsamen Werte der EU, wie das Rechtsstaatsprinzip, sowie wichtige Anliegen, wie der Klimaschutz, gestärkt. Durch die Einführung von Eigenmitteln für die EU und der Bindung der Hilfen aus dem Aufbauplan an vereinbarte Etappenziele erhalten die EU-Institutionen, insbesondere die Kommission, ein größeres Gewicht. Der Plan ist ein starkes Zeichen für den Zusammenhalt der EU in Krisenzeiten.

Allerdings ist er (zumindest bisher) nicht der historische Schritt hin zu einem föderalen Europa, der von manchen Beobachter*innen erwartet wurde. Schließlich halten die Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene bei der Verteilung der Mittel sowie auf europäischer Ebene beim Beschluss von Maßnahmen in den Räten weiterhin die Zügel in der Hand. Dies wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Zudem konnten Differenzen, die zur Vertiefung der Integration überwunden werden müssten, bisher nicht gelöst werden. Auf diesem Feld muss also noch viel getan werden. Es ist anzunehmen, dass die Integration auch in Zukunft nur mit kleinen Schritten, statt in einem großen Wurf vorangehen wird.

Unabhängig davon sollte der Klima- und Umweltschutz bei der Verwendung der Mittel aus dem Plan noch viel stärker berücksichtigt werden. Anderenfalls laufen die EU-Staaten Gefahr, in Zukunft regelmäßig von Pandemien und Krisen diesen Ausmaßes heimgesucht zu werden, was die sozialen und wirtschaftlichen Systeme in den Mitgliedsstaaten langfristig an den Rand des Kollaps bringen könnte. Durch die aktuell zur Verfügung gestellten Finanzmittel wird die wirtschaftliche Entwicklung in den EU-Mitgliedsländern auf Jahrzehnte beeinflusst werden. Daher ist es notwendig, dass die Weichen hin zu mehr Klimaschutz unverzüglich gestellt werden. Die Tatsache, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten und das Parlament am 22.04.2021 auf eine deutliche Verschärfung des Klimaziels bis 2030 geeinigt haben, lässt jedoch darauf hoffen, dass alle Beteiligten den Ernst der Lage erkannt haben.

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