Die baltisch-europäische Identitätspolitik, die auf dem Übergangsmodell der baltischen Staaten (vor allem dem Litauens) basierte und die zwischen 1991 und 1994 von den sich an der Macht befindenden weißrussischen Nationalisten verfolgt wurde, genoss aufgrund der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und des Mangels an Bereitschaft zu Reformen nicht die erhoffte Unterstützung der Bevölkerung. Die Spaltungen zwischen den Konservativen und den Nationalisten untergruben zudem die Politik der Regierung, was letztendlich den Aufstieg Alexander Lukaschenkos und seine Machtübernahme im Jahre 1994 ermöglichte. Mit Erfolg versuchte er, einen panslawischen Diskurs mit der Notwendigkeit einer Wirtschaftsunion mit Russland zu verbinden, um das rechtmäßige Erbe der Weißrussischen SSR sicherzustellen und einen autoritären Kurs zu erlauben, während er gleichzeitig Opposition und Zivilgesellschaft unterdrückte.
Diese Entwicklung hin zu einem autoritären Regime sollte die aufkeimende Beziehung zur EU zwangsläufig gefährden, vor allem da letztere eben erst ihre „Kopenhagener Kriterien“ für den Beitritt der Länder Mitteleuropas, des östlichen Balkans und des Baltikums formuliert hatte. Die EU fing außerdem an, Partnerschaftsabkommen mit den Ländern zu entwickeln, die der Union nicht beitreten würden, ignorierte dabei Weißrussland jedoch weitestgehend. Wie genau sieht diese Nachbarschaftspolitik aus und welche Rolle spielt dabei Weißrussland?
Die Anfänge der europäischen Nachbarschaftspolitik
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks und seinen Konsequenzen für Mittel- und Osteuropa wollte die EU in diesen Ländern den Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft sicherstellen. Während die Staaten, die der Union beitreten wollten, den Gemeinschaftlichen Besitzstand übernehmen mussten, konnten diejenigen, die bei diesem Vorgang außen vor blieben, Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Politik abschließen. Vor dem Hintergrund der großen Osterweiterung am 1. Mai 2004 und dem jetzt direkten Kontakt mit recht instabilen Nachbarn wie der Ukraine, wo Unruhen bereits die Anfänge der Orangen Revolution erkennen ließen, oder Moldawien, dem ärmsten Land Europas, musste die EU ihre Nachbarschaftspolitik überdenken. Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) war 2001 konzipiert und 2003 von der Europäischen Kommission formuliert worden. Dieser Rahmen für Beziehungen ergänzte die bereits existierenden Partnerschaftsabkommen und stärkte die Finanzinstrumente. In diesem Kontext wurde TACIS durch ENPI ersetzt, dem Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument. Die EU bevorzugt außerdem eine „personalisierte“ Kooperation mit den 16 Staaten, die von der ENP betroffen sind. So wurde 2009 auf Initiative des polnischen Außenministers Radosław Sikorski die Östliche Partnerschaft auf den Weg gebracht.
Weißrussland auf europäischer Bühne relativ isoliert
Und welche Rolle spielt Weißrussland dabei? Die Beziehungen mit der Europäischen Gemeinschaft gehen auf die Explosion des Kernkraftwerks Tschernobyl im April 1986 zurück, bei der radioaktiver Niederschlag große Teile des Gebiets der Weißrussischen SSR verseuchte. Dank Gorbatschows Politik der Öffnung konnten sich zahlreiche westliche, vor allem deutsche, NRO in die Gebiete begeben und der Bevölkerung helfen. Zahlreiche Projekte wurden jedoch aufgegeben, als das Land feindseliger gegenüber Westeuropa wurde [1].
Obwohl 1995 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen unterzeichnet wurde, wurde dieses aufgrund der Verschlechterung der bilateralen Beziehungen nie ratifiziert [2]. Lange Zeit war Weißrussland, das einzige Land Europas, das kein Mitglied des Europarats ist, deswegen fast vollständig aus europäischen Organisationen ausgeschlossen und wurde erst 2009 im Rahmen der Östlichen Partnerschaft in die Europäische Nachbarschaftspolitik aufgenommen. Aufgrund der gravierenden Unterschiede in den Ansichten bezüglich Demokratie und Menschenrechte bleiben die Beziehungen jedoch sehr begrenzt. Gemeinsame Ziele und Interessen sind folglich nicht sehr zahlreich und das gegenseitige Misstrauen bleibt wie das zwischen der EU und Russland bestehen.
Aufgrund der sehr engen Beziehungen mit Russland ist das Land jedoch in diplomatischer Hinsicht nur wenig isoliert. Das Land von Alexander Lukaschenko ist Mitglied der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), der Eurasischen Wirtschaftsunion und vor allem der Russisch-Weißrussischen Union, die einige als Versuch Moskaus sehen, Weißrussland auf einfache Weise zu annektieren [3].
Nähert sich Weißrussland an die Europäische Union an?
Trotz der engen Beziehung zwischen Russland und Weißrussland scheint letzteres eine Annäherung an die Europäische Union zu suchen, um seine Unabhängigkeit von Moskau zu bekunden.
Die neue von Irredentismus geprägte Politik Moskaus, die ihren Höhepunkt in der einseitigen Annexion der Krim im März 2004 fand, wirkt einschuechternd auf Minsk. Weißrussland hatte während der gesamten Ukraine-Krise versucht, über das Minsk Forum zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln und so der internationalen Gemeinschaft, aber vor allem Wladimir Putin, zu zeigen, dass Weißrussland keine russische Provinz ist. Schon vor der Ukraine-Krise waren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern angespannt, nachdem Moskau Minsk zu verstehen gegeben hatte, dass Gas nun zu Marktpreisen verkauft würde und dass die Vorzugstarife nicht ewig angeboten würden, da sie Russland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung bremsen würden. Alexander Lukaschenko setzte sich außerdem für ein ausgewogenes Verhältnis im Rahmen der Russisch-Weißrussischen Union ein und forderte insbesondere, dass der Sitz der Organisation nach Minsk verlegt würde — eine angesichts des jeweiligen geopolitischen Gewichts der beiden Länder eine wenig glaubwürdige Forderung. In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der strittigen Punkte zwischen den beiden Regierungen vervielfacht.
Seitdem hat Alexander Lukaschenko keine Wahl, als seine antiwestliche Rhetorik abzuschwächen. Der erste Schritt in diese Richtung war die Integration Weißrusslands in die Östliche Partnerschaft neben der Ukraine und Moldawien, zwei weitaus europhileren Ländern. Die Handelsbeziehungen entwickeln sich und der Handel mit der EU stellt nun fast ein Viertel des gesamten Handels Weißrusslands dar. Für das in Sachen Energieversorgung stark von Russland abhängige Land ist die EU ein unverzichtbarer Handelspartner geworden. 2016 hob die Union die wirtschaftlichen Sanktionen für Weißrussland mit Ausnahme des Waffenhandels auf, wodurch sie die Annäherungspolitik Alexander Lukaschenkos würdigte. Nichtsdestotrotz bleiben die demokratische Lage sowie die Menschenrechtslage laut Brüssel hochproblematisch [4].
Die Ziele der ENP müssen überarbeitet werden
Die Beziehungen zwischen der EU und Weißrussland sind zu oberflächlich und gleichzeitig zu frisch, um bereits eine Bilanz ziehen zu können. Die Europäische Nachbarschaftspolitik hat außerdem eine große Schwäche: Ihr Hauptziel ist die Kooperation mit den EU-Nachbarstaaten im Süden und Osten, allerdings ohne diesen auch auf lange Sicht eine Beitrittsperspektive zu geben. Länder wie die Ukraine, Moldawien oder selbst Georgien träumen davon, eines Tages in die EU aufgenommen zu werden. Brüssels Forderungen nach Reformen in diesen Ländern, ohne diesen hinsichtlich ihrer Hoffnungen entgegen zu kommen, könnten sich als kontraproduktiv erweisen [5]. Weißrussland hat derzeit nicht vor, EU-Beitrittskandidat zu werden, aber dies könnte sich in den kommenden Jahren ändern, wenn die Östliche Partnerschaft Gestalt annimmt und Russlands Einfluss weiter steigt.
[1] Tatiana Kasperski : La catastrophe de Tchernobyl : une entrée singulière pour la coopération entre l’Union Européenne et la Biélorussie in Élargissement et politique européenne de voisinage (Bruylant 2008) [5] Sophie Guttierez : Spécificités moldaves de la PEV – sécurité et économie
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