Russland, China, Iran - es ist kein Geheimnis, dass diese Staaten alles andere als demokratisch sind, noch geben sie vor, es zu sein. Doch anstatt nur diese Staaten zu kritisieren, müssen auch die europäischen Staaten zugeben, dass Demokratie auf dem europäischen Kontinent vor einigen Jahren in einer besseren Verfassung war. Insbesondere der Aufstieg populistischer Parteien, die fundamentale Menschenrechte und etablierte demokratische Strukturen in Frage stellen und diese im Falle einer Regierungsbeteiligung nicht selten deutlich abschwächen, ist eine ernstzunehmende Sorge für Europa. Die Wahrnehmung, dass Demokratie in Europa zunehmend unter Druck gerät, spiegelt sich auch in der Arbeit des US-amerikanischen Think Tanks Freedom House, das jährlich den Bericht Freedom in the World veröffentlicht. Dieser Bericht nimmt die demokratische Situation in allen Staaten weltweit unter die Lupe, wobei Demokratie als das Zusammenspiel politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten verstanden wird. Laut Bericht gilt ein Land als “frei”, wenn diese Kriterien den Anforderungen an demokratische Regime entsprechen, beispielsweise weil sie Meinungsfreiheit und faire und freie Wahlen garantieren oder Korruption auf einem niedrigen Niveau liegt. Im Regionalbericht für Europa 2019 warnen die Autor*innen vor autokratisch regierenden Politiker*innen, die kritische Institutionen ausschalten: “Antidemokratische politische Führer*innen in Mitteleuropa und dem Balkan - einschließlich deren, die sich schamlos Macht über die Grenzen der Verfassung angeeignet haben - untergraben Institutionen, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Rechtsstaatlichkeit schützen.”
Was ist Demokratie?
Die Frage nach der Definition von Demokratie hat über Jahre Philosoph*innen, Politiker*innen und Forscher*innen verschiedenster Disziplinen beschäftigt - und tut das noch heute. Als der Begriff erstmals in Sokrates’ Staatstheorie auftauchte, war er negativ besetzt: Laut Sokrates führte die Herrschaft der Vielen ohne gemeinsame Prinzipien und Regeln nicht nur ins Chaos, sondern gar in die Tyrannei. Wörtlich beschreibt Demokratie die “Herrschaft des Volkes”, sodass heute darunter jene Staatsformen verstanden werden, in denen Entscheidungen durch die Bürger*innen legitimiert und sie in den politischen Prozess eingebunden sind.
Demokratische Regime lassen sich an ihren Strukturen, Prozessen und konkreten Entscheidungen erkennen. Die Strukturen für einen demokratischen Staat finden sich in der Verfassung: Grundsätzlich können diese Strukturen als demokratisch angesehen werden, wenn sie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und die fundamentalen Menschenrechte garantieren. Politische Prozesse in Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie die effektive Teilnahme von Bürger*innen am politischen Prozess garantieren, sei es durch Repräsentation durch gewählte Abgeordnete oder durch direkte Meinungsäußerung, beispielsweise in Volksabstimmungen. Der wohl wichtigste Bestandteil dieser politischen Partizipation sind Wahlen, die nicht nur regelmäßig stattfinden, sondern auch die Grundsätze freier, gleicher und geheimer Wahlen erfüllen. Im Gegensatz zu Strukturen und Prozessen fällt es schwerer, klare Trennlinien für demokratische Politik zu erkennen; wichtig ist jedoch, dass sie die Verfassung und die darin festgelegten Prinzipien umsetzen. Demokratische Politik könnte demnach in Gesetzen zur Verbesserung des Minderheitenschutzes oder zur Schaffung tatsächlicher Geschlechtergleichheit bestehen. In jedem Fall sind die Strukturen, Prozesse und politische Maßnahmen untrennbar miteinander verbunden, sodass ihr Zusammenspiel eine funktionierende Demokratie ergibt.
Gibt es “illiberale Demokratien”?
Ja und nein. Die Politikwissenschaft verwendet den Begriff der “illiberalen Demokratie” im Bereich der Regime- und Transformationsforschung. In diesem Zusammenhang beschreibt illiberale Demokratie eine Form der sogenannten defekten Demokratien; defekte Demokratien sind Systeme, die zwar einige Merkmale von Demokratien - beispielsweise Wahlen oder demokratische Prinzipien in der Verfassung - aufweisen, aber klare Defizite hinsichtlich demokratischer Standards haben. In illiberalen Demokratien liegen diese Defizite meist in der Garantie von Rechtsstaatlichkeit sowie von Bürgerrechten und zeigen sich oft darin, dass gewählte Politiker*innen sich selbst nicht mehr an die Verfassung halten. Im Kontext der Regimeforschung gibt es also illiberale Demokratien.
Den Begriff der “illiberalen Demokratie” nutzt auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, um seine umstrittenen Reformen der Pressefreiheit und der Justiz zu rechtfertigen. 2014 erklärte Orbán in einer Rede, man schaffe in Ungarn „einen illiberalen, einen nicht-liberalen Staat“, der freiheitliche Prinzipien nicht mehr ins Zentrum der Staatsorganisation stelle. Nach seinem Verständnis handelt es sich hierbei um eine Form von Demokratie mit starker politischer Führung, die der liberalen Demokratie hinsichtlich demokratischer Prinzipien in nichts nachsteht. Während der Begriff der “illiberalen Demokratie” in der Regimeforschung nützlich sein mag, um Regime einzuordnen, ist der Begriff in der Praxis irreführend und ein Widerspruch in sich. Entweder ein Staat respektiert demokratische Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Rechte und Freiheiten, oder er ist illiberal und tut das nicht - aber dann ist er nicht mehr demokratisch.
Warum ist Demokratie wichtig?
Lange wurde Demokratie als Garant für Wachstum und Wohlstand verstanden, zumal demokratische Strukturen meist in Marktwirtschaften zu finden waren. Dieses Argument hat heute an Strahlkraft verloren, da der beispiellose wirtschaftliche Aufstieg Chinas und anderer nicht-demokratischer Staaten zeigt, dass demokratische Strukturen keine Voraussetzung für Wachstum sind. Allerdings liegt es in der Natur demokratischer Systeme, dass sie als einzige jene fundamentalen Menschenrechte schützen, auf die sich die Staatengemeinschaft 1948 mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geeinigt hat. In autokratischen Regimen ist Macht auf allen Ebenen oftmals in der Hand einer Person oder einer herrschenden Gruppe gebündelt, sodass die Ausübung dieser Macht nicht von unabhängigen Stellen kontrolliert werden kann. Diese fehlende Unabhängigkeit und Kontrolle erschwert jedoch die Garantie einiger Menschenrechte, beispielsweise den Anspruch auf eine faire Verhandlung (Artikel 8) oder unabhängige Gerichte (Artikel 10). Die Machtsicherung in autokratischen Regimen beruht außerdem oftmals auf dem Ausschalten unabhängiger Medien oder Kritiker*innen, was dem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 19) widerspricht.
Wie gerät Demokratie unter Druck?
“Wer in der Demokratie schläft, wird in der Diktatur aufwachen.” Dieser vielzitierte Satz beschreibt die Prozesse, wie Demokratie unter Druck gerät - und was man dagegen tun kann. In der Regel werden verfassungsrechtliche Strukturen und politische Prozesse nicht über Nacht in autokratische umgewandelt, sondern viel eher in einem schleichenden Prozess. Die Veränderungen beginnen oft damit, dass individuelle Freiheiten eingeschränkt werden, besonders die Meinungsfreiheit. Viele Politiker*innen rechtfertigen diese Einschränkungen mit einem erhöhten Bedarf nach Sicherheit, der mit umfassenden Freiheitsrechten nicht vereinbar sei. Darauf folgt oftmals die Reform von Gerichten und rechtlicher Prozesse, was offiziell mit dem Ziel einer effektiveren Staatsführung begründet wird. Abhängig von ihrer politischen Orientierung und Ideologie nennen Politiker*innen in diesem Zusammenhang nicht selten die Wahrung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Moral als Grund für ihr hartes Durchgreifen. An dem Punkt, an dem die freie Presse und zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mehr existieren oder faktisch zur Regierung gehören, wird der Schritt zurück schwierig - es sei denn, Wahlen führen zu einem Führungswechsel. Deshalb ist es umso wichtiger, die demokratische Entwicklung in Staaten genau zu beobachten: Zeichnet sich eine systematische Verletzung demokratischer Prinzipien ab, können eine starke Opposition und eine gut organisierte Zivilgesellschaft diesen Tendenzen entgegenwirken, indem sie dafür sensibilisieren und für Alternativen eintreten.
Vom 18. bis 24. Februar findet die Aktionswoche der JEF Europa zu „Democracy under Pressure“ / „Demokratie unter Druck“ statt. Mit dieser Kampagne ruft die JEF Europa dazu auf, die Stimme für jene zu erheben, die zum Schweigen gebracht werden. Zu diesem Anlass greifen wir das Thema Demokratie auch bei treffpunkteuropa.de und den anderen Sprachversionen auf, beispielsweise in Artikeln zur demokratischen Situation in verschiedenen europäischen Staaten.
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