Wenn Menschen sterben, weil ihre Retter vor Gericht stehen

Ein Interview mit dem Kapitän der Lifeline Claus-Peter Reisch

, von  Anja Meunier

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Wenn Menschen sterben, weil ihre Retter vor Gericht stehen
Claus-Peter Reisch, Foto: Anja Meunier, treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt

Während die Politik in Europa über symbolpolitische Maßnahmen diskutiert und Rechtspopulisten aller Länder versuchen, Abschiebungen durchzusetzen und Einwanderung zu verhindern, sterben auf dem Mittelmeer weiterhin hunderte Menschen bei dem Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Zivile Seenotretter geben ihr Bestes, um dies zu verhindern – und werden dafür zunehmend kritisiert und kriminalisiert. Wir haben mit Claus-Peter Reisch, dem Kapitän der Lifeline über die angespannte Situation gesprochen.

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Die Lifeline ist ein Rettungsschiff der zivilen Seenotrettungsorganisation MISSION LIFELINE, deren Crew im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken rettet. Nachdem das Schiff im Juni 234 Menschen an Bord nahm, untersagten zunächst Italien, dann auch Malta das Anlegen in ihren Häfen. Erst nach weiteren fünf Tagen konnte das Schiff in Valetta, der Hauptstadt Maltas anlegen, jedoch wurde umgehend ein Verfahren gegen den Claus-Peter Reisch eröffnet, sowie das Schiff beschlagnahmt. Wir haben Herr Reisch am Rande der “Ausgehetzt”-Demo in München getroffen.

Anja Meunier: Herr Reisch, Ihr Schiff, die Lifeline, sitzt ja gerade in Malta fest und kann nicht auslaufen. Warum?

Claus-Peter Reisch: Nicht nur unser Schiff sitzt in Malta fest und kann nicht auslaufen, sondern alle drei Schiffe, die in Malta normalerweise stationiert sind, dürfen nicht auslaufen. Eines nicht, weil die maltesische Verkehrsbehörde das untersagt, und wir nicht, weil man das Schiff als Beweismittel in dem Verfahren gegen mich beschlagnahmt hat. Wir sprechen eigentlich nur über die Gültigkeit eines Zertifikats, das wieder abgelaufen, noch eine Fälschung ist. Man versteht da die Welt nicht mehr. Wir sprechen nicht mehr über Seenotrettung, und das ist eigentlich das Thema was mich bewegt.

Meunier: Sind momentan überhaupt irgendwelche anderen zivilen Schiffe zur Seenotrettung auf dem Mittelmeer unterwegs?

Reisch: Es gibt noch drei Schiffe, die unterwegs sind, aber die werden von Spanien aus gesteuert und bringen die Flüchtlinge auch nach Spanien. Die fahren dann die Menschen über große Distanzen, damit man sie aus dem Seenotrettungsgebiet weg hält. Die Häfen, in die wir die Menschen bringen, suchen wir uns ja nicht selbst aus, sondern die werden uns von Regierungsseite zugewiesen. Wir haben keine Wahl, wo wir die Leute hin bringen.

Meunier: Kritiker der Seenotrettung sagen ja, wenn es keine Rettungsschiffe gäbe, würden auch weniger Menschen diese Überfahrt wagen. Hat sich das jetzt in den letzten Wochen so bestätigt, wo weniger Seenotrettungsboote unterwegs waren?

Reisch: Nein, ganz im Gegenteil. Es sterben so viele Menschen wie nie zuvor, der Juli 2018 wird als der tödlichste Monats in die Geschichte der Seenotrettung eingehen. Die Schlepper interessiert es nicht, ob die Menschen überleben. Das Geschäft ist gemacht, es ist abkassiert, und die Menschen werden einfach auf dem Meer entsorgt.


Meunier: Die Boote, die Sie auf dem Meer antreffen, sind häufig komplett seeuntauglich. Wieso lassen sich die Geflüchteten darauf ein, in diese Boote einzusteigen?

Reisch: Naja, wissen Sie, die Menschen kennen kein Meer. Die kommen aus Subsahara Staaten, aus der Sahara, dort gibt es kein Meer, dort gibt es ein Sandmeer. Und die sehen dann irgendwann diese Wassermenge, die sie noch nie in ihrem Leben vorher gesehen haben, und dann bekommen natürlich viele Menschen Angst. Aber wenn sie nicht freiwillig in diese Boote einsteigen, dann werden am Strand auch mal so zwei oder drei erschossen, und dann steigt der Rest schon ein.

Meunier: Oft wird auch kritisiert, dass die Menschen anschließend nach Europa gebracht werden, anstatt sie wieder nach Libyen oder andere afrikanische Staaten zurück zu bringen. Was ist der Grund dafür?

Reisch: Da gibt’s mehrere Gründe. Der eine Grund ist, wir erhalten die Anweisung des Hafens, des so genannten Port of Safety, von der Rettungsleitstelle in Rom. Die weist uns einen Hafen an und dort haben wir hinzufahren. Ich hab hier keine freie Wahl. Punkt Zwei ist, es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, und in der heißt es, dass man Menschen in ein Land aus dem sie geflüchtet sind nicht zurückbringen darf. Ich müsste die Menschen nach Libyen zurückbringen. Das darf ich nicht. Da mache ich mich strafbar. Zudem wäre es für meine Mannschaft, und für mich, und für das Schiff höchst gefährlich in lybische Gewässer einzulaufen. Dort herrscht Bürgerkrieg, und wer fährt freiwillig in einem Bürgerkriegsland? Auch Tunesien schließt sich aus. Es ist zwar kein Bürgerkriegsland, aber es ist auch kein sehr sicheres Land. Die Leute werden dort in so genannten Kettenabschiebungen abgeschoben und Amnesty International berichtet aus Tunesien über Folter und Ähnliches.

Meunier: Die Anklage gegen Sie und die Festsetzung der Lifeline und anderer Schiffe hat eine große mediale Aufmerksamkeit gebracht. Wie erleben Sie die Stimmung in Bezug auf Seenotrettung?

Reisch: Ich glaube, dass vielen Leuten wieder bewusst geworden ist, dass dort im zentralen Mittelmeer massenhaft Menschen sterben, besonders durch die derzeitige Abwesenheit der privaten Seenotretter. Diese retten übrigens ohnehin „nur“ 40% der Menschen, den Rest erledigen Handelsschiffe und teilweise auch das Militär, was jetzt auch unterbunden werden soll. Wenn wir es nicht tun dann tut es niemand und die Menschen sterben dort einfach.

Meunier: Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen, um sich in der zivilen Seenotrettung auf dem Schiff zu engagieren? Wer wird gebraucht?

Reisch: Wir bei Mission Lifeline sind immer froh um Maschinisten, um erfahrene Schiffsmechaniker, Schiffsbetriebstechniker, Ingenieure. Das ist eine ganz ganz wichtige Position auf dem Schiff. Es sind auch Nautiker gefragt, außerdem Rettungssanitäter, Elektriker, Ärzte aus dem Bereich Notarzt oder Chirurgie und erfahrene Krankenschwestern. Wir brauchen auch immer weibliches Personal auf dem Schiff, Weil wir ja auch viele Frauen und kleine Kinder da haben, und die haben einfach ein anderes Verhältnis zu einer weiblichen Ärztin oder Krankenschwester als zu einem Mann.


Meunier: Wie können diejenigen die Retter vom Land aus unterstützen, die sich diese schwierige Arbeit direkt auf dem Meer selbst nicht zutrauen?

Reisch: Zum einen natürlich auf alle Fälle durch Spenden. Wir finanzieren dieses Schiff ausschließlich aus Spenden. Ein Tag Mission Lifeline kostet 2500 €. Wir brauchen relativ viel Diesel, wir haben immer mal wieder Reparaturen, das ist völlig normal bei solchen Schiffen. Es werden auch Leute gesucht die uns in der Medienarbeit unterstützen, oder im Büro.

Meunier: Haben Sie konkrete Forderungen an die Regierungen, an die EU oder die Politik allgemein?

Reisch: Also zum einen darf Seenotrettung natürlich niemals kriminalisiert werden. Momentan versucht man ja, uns in diese Ecke zu drängen, was völlig unmöglich ist. Ich bin ein ehemaliger Geschäftsmann, ich hab es nicht nötig, mit Schlepperei Geld zu verdienen, was wir auch nicht tun. Das sind völlig haltlose Unterstellungen. Das muss aufhören. Wir müssen einen Status bekommen, so dass wir mit unseren Schiffen, mit unserer qualifizierten Mannschaften fahren können, das ist ganz wichtig. Und vor allem muss man endlich an die Fluchtursachen ran. Da redet man seit 30, 40 Jahren drüber, aber gemacht wird nix, es ist einfach nur Gelaber ohne Handlung dahinter.

Mehr Informationen dazu, wie du die Seenotretter unterstützen kannst, findest du hier.

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Das Ziel der Seerettungsorganisation MISSION LIFELINE ist es, alle in Seenot befindlichen Menschen vor dem Tod durch Ertrinken zu bewahren. Dabei konzentrieren sie sich auf das Seegebiet, in welchem zurzeit weltweit am meisten Menschen sterben – das zentralen Mittelmeer. Mit ihrem Rettungsschiff LIFELINE suchen sie entlang der libyschen Küste in internationalen Gewässern nach Menschen in Seenot, retten und versorgen sie. Dabei kooperieren sie mit anderen Hilfs- und Rettungsorganisationen. So wurden 2017 mehrere hundert Menschenleben gerettet. Falls du MISSION LIFELINE finanziell unerstützen möchtest, kannst du das mit einer Spende (IBAN: DE85 8509 0000 2852 2610 08) oder durch den Einkauf im Merchandising-Shop tun.

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