Heute Morgen komme ich durchnässt an der Station an, stelle meinen Regenschirm beiseite, lege meine Daunenjacke ab und ziehe ein Hemd über. An den Ufern des Atlantiks, das weiß man, kann man sich auf den Frühling nicht verlassen. In der Kaffeepause mache ich einen Spaß und sage, dass während wir hier lange Ärmel tragen, die Kolleg*innen in Italien schon längst ans Meer fahren. Wir lachen noch über den Scherz, als sich ein anderer Arzt, der sich bisher abseits gehalten und zugehört hatte, entscheidet, das Wort zu ergreifen: „Und warum bist du dann hergekommen, um uns den Regen zu bringen? Hättest du nicht in Italien bleiben können?“ Ich gehe nicht darauf ein, er geht so mit Allen um. Die anderen erzählen mir, er könne besser mit Objektträgern sprechen als mit anderen Leuten. Aber dennoch musste ich weiter daran denken.
Ich bin ein Student der Europäischen Union, ich habe unter Schutz der Kommission einen Vertrag für meine Ausbildung unterzeichnet, und leiste meine Arbeit auf der Station sogar ohne das Gehalt zu bekommen, das meinen französischen Kolleg*innen zufällt: Welchen Grund kann ein alter Arzt also haben, mir mit so einem giftigen Scherz zu antworten?
Das Erasmus-Programm ist eine Politik mit erstaunlicher Macht, die sich nachhaltig mit dem Wesen des Europamottos („In varietate concordia – Einheit in Vielfalt“) verbunden hat. Aber heute habe ich begriffen, dass das nicht ausreicht, unser Europa wird immer weiter geprüft werden. Und es geht nicht nur um das fehlende Geld, um Stipendien, die an mehr Studierende verteilt werden müssen oder um horizontale Gleichheit. Es gibt auch eine vertikale Komponente der älteren Generationen, die die neuen mit als Witzen verkleideten Nationalismus verhöhnen, das Credo vom „Wir sind noch nicht bereit“ verbreiten und die Aufgabe der Völkerverständigung an die kommenden Generationen abtreten.
Aber die Zeit, um eine Eintracht zu schaffen, ist nicht grenzenlos: Tatsächlich stehen wir schon in der Nachspielzeit. Falls immer noch jemand darauf besteht, den kulturellen Zement von den Mauern unseres Hauses zu kratzen (und das Erasmus-Programm ist vielleicht einer der erfolgreichsten), wie sollen wir es jemals schaffen, dieses Haus mit einem unzerbrechlichen Schild des Föderalismus zu stärken?
Der Kampf der Vorhut ist unsere Spezialität, und wir Italiener*innen sind die Vorreiter*innen unter den jungen Föderalist*innen, aber wir können uns nicht erlauben, unser Europa im Stich zu lassen. Das Erasmus-Programm ist kein Sieg, der schon in den Geschichtsbüchern steht, sondern vielmehr ein strategisches Mittel, das vor seinen Kritikern verteidigt und gefestigt werden muss. Wenn unsere europäischen Freund*innen (oder föderalistischen Cousins und Cousinen) in diesem Bereich Koordinierungsbedarf haben, müssen wir alles geben. Wenn sie Ermutigungen brauchen, müssen wir sie so viel anfeuern wie wir können. Aber sie im Stich zu lassen, um sie in der ersten Reihe auf aufgestellte Lanzen zu stoßen, wäre ein fataler Fehler.
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