Gleichzeitig erlaubt Artikel 13 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft es der Union, Gesetze zu erlassen, die diese Art von Diskriminierung bekämpfen. Allerdings hat die EU bislang nur Rechtsvorschriften festgelegt, die gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung im Bereich der Erwerbstätigkeit abzielen.
Diskriminierung im sozialen Bereich
Zu beachten ist, dass das Fehlen von expliziter Diskriminierung im rechtlichen Bereich nicht bedeutet, dass Diskriminierung im sozialen Bereich nicht existieren würde. Als deutlichstes Beispiel dienen die sogenannten „LGTBIQ*-freien Zonen“ in Polen, von denen es bis August 2019 30 gab. Auch wenn es sich um einen hauptsächlich symbolischen Akt handelt – denn seine reale Anwendung würde einen Verstoß gegen das europäische Recht bedeuten – ist alleine Existenz ein Versuch, Menschen aus der Gemeinschaft auszuschließen und zu stigmatisieren, wie die Anprangerungen von Menschenrechtsorganisationen lauten. Außerdem gilt es nicht die große Anzahl an Menschen zu vergessen, die nicht über ihre sexuelle Orientierung sprechen aus Angst vor möglichen Repressalien, und dass diejenigen, die es tun, mit Ausgrenzung, verbalen und körperlichen Übergriffen sowie verminderten Berufschancen konfrontiert sind.
Angesichts der wiederkehrenden, vorurteilsbehafteten Bekräftigung der bereits in der öffentlichen Wahrnehmung installierten Annahme, dass diese Art von Politik oder Rückschlägen bezüglich der Rechte und Stellung der LGTBIQ+-Community nur für osteuropäische Länder typisch wäre – in Verbindung mit rechtspopulistischen Regierungen – ist es jedoch wichtig, die Wahrheit zu benennen: dass ganz Europa in Bezug auf LGTBIQ+-Rechte stagniert. Beispielsweise deckte die Europäische Agentur für Grundrechte im Jahr 2016 auf, dass etwa die Hälfte des medizinischen Personals in Rumänien Homosexualität als eine Art „psychische Störung“ betrachtet. Und bis 2001, als Rumänien den EU-Beitritts-Prozess begann, war es für Paare gleichen Geschlechts illegal sich in der Öffentlichkeit an den Händen zu halten oder andere Zeichen von Zuneigung zu zeigen.
Diskriminierung ist kein Mythos
Es ist jedoch gar nicht nötig, so weit wegzugehen: In Italien ist ein Gesetzesvorschlag, der homophobe Aggression kriminalisieren soll, seit 2013 auf Halt, trotz aller Beschwerden von LGTBIQ+-Gruppierungen. Laut einer Umfrage auf dem Portal gay.it haben 52% der Befragten in ihrem Leben Aggressionen erlitten. Italiens neuer Minister für Familie und Behinderungen, ein Mitglied der ultra-rechten Liga, die jetzt Teil der Regierung ist, provozierte ebenfalls Proteste queerer Italiener*innen, indem er behauptete, dass „Familien, die aus Homosexuellen bestehen, nicht existieren“. Und in Frankreich wurden laut Daten des Observatoriums für Homophobie 53% aller Menschen, die Teil der LGBTIQ+-Community sind, in ihrem Leben bereits aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität angegriffen. Diese Daten zerstören nur den Mythos, dass es in Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien einfacher wäre, queer zu sein. Auch wenn es stimmt, dass es weniger rechtliche Beschränkungen gibt und besser um die gesellschaftliche Akzeptanz steht, gibt es dennoch weiterhin viel zu tun und wir dürfen nicht nachlassen.
Wir müssen auch versuchen, die Ebene der Gespräche zu vertiefen, uns wegbewegen von dem Sprechen über „Homosexuelle“, und mehr über die Realitäten reden, in denen z.B. bisexuelle oder jene Menschen leben, die sich mit Begriffen und Konzepten identifizieren, deren Akronyme weniger theoretisch entwickelt und gesellschaftlich implementiert sind. In Großbritannien (um nicht weiter wegzugehen) haben sich 46% der bisexuellen Menschen und 40% der Menschen, die sich als asexuell, queer, pansexuell oder polysexuell identifizieren, nicht geoutet.
Es ist an der Zeit, zu handeln
Daher ist es so wichtig, dass hasserfüllten Diskursen und anderen toxischen Narrativen, die allmählich den öffentlichen Raum vereinnahmt haben, entgegengewirkt wird. Unsere Verantwortung als Bürger*innen der Europäischen Union ist es, dass wir die Unterstützung der europäischen Institutionen, die zur Auseinandersetzung mit diesen Problemen geschaffen wurden und uns repräsentieren, einfordern. Das Recht zu sein, wie man sein möchte und ist, und zu lieben, wen man möchte, ist etwas so Grundlegendes, dass es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist – und trotzdem müssen wir auch so viele Jahre danach jeden Tag darum kämpfen. Wir müssen ein Europa anstreben, in dem kein Mensch diskriminiert wird, schon gar nicht aufgrund der eigenen Identität. Die Diskriminierung zu beenden ist aber nur der erste Schritt; wir werden uns nicht mit Toleranz zufrieden geben, denn wir streben nicht nach der bloßen Tolerierung unserer Existenz. Vielmehr danach, eine neue Normalität zu entwickeln und in ihr zu leben.
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